Aufgabe: Nimm einen deiner Nachbarn und charakterisiere sie oder ihn kurz. Dann bekommst du ein Stichwort und darfst dazu eine Geschichte schreiben.
Hinweis: Diese Geschichte ist rein fiktional. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist zufällig und nicht beabsichtigt.
Charakterisierung:
– Sie ist eine Renterin
– Sie wohnt gegenüber, ihr Mann ist seit einiger Zeit im Pflegeheim
– Sie werkelt ab und zu im Garten
– Sie sitzt gerne im Schatten auf der Terasse. Dort stehen zwei Metallstühle und ein kleiner Tisch, ebenfalls aus Metall
Stichwort: Modelliermasse
Geschichte:
Maria hatte Sorgen. Das Gesicht tief in Falten gelegt dachte sie angestrengt nach. Seit zwei Monaten war ihr Mann jetzt im Heim.
Sie hatte es probiert! Oh ja! Alles ausgehalten und ihren Karl liebevoll gepflegt.
Jetzt war er im Heim!
„Bis das der Tod euch scheidet“ dachte sie bitter und kam sich wieder wie eine Verräterin vor. Ihren lieben Karl in ein Pflegeheim zu stecken.
Die Frühlingssonne schien warm durch den Baum und streichelte ihre Füße. Es war ihr 83. Frühling und ihr war kalt. Die Sonne konnte ihr die Wärme nicht schenken die sie so vermisste.
Maria seufzte noch einmal tief und sah sich im Garten um. Natürlich perfekt gepflegt. Die Hortensien blühten in voller Pracht und am Baum zeigten sich die ersten Ansätze von Kirschen und Karl war im Heim.
Dieses Jahr hatte sie den Garten allein aus dem Winterschlaf wecken müssen. Die Gicht in den Fingern machte ihr jedes Jahr mehr zu schaffen.
„Früher haben wenigstens die Kinder geholfen“, dachte sie.
Mühsam erhob sie sich und ging ins Haus, vorbei an dem Regal mit den Porzellanfiguren. Ein Schrei von draußen lenkte sie ab. Sie drehte sich herum und riss dabei die Figur des Maskentänzers herunter.
Karls Lieblingsfigur! Gekauft in ihrem Urlaub in Venedig, den ihnen die Kinder zur Silberhochzeit geschenkt hatten.
Klirr! Da lag die Figur! In Scherben!
„Karl wird es nicht verstehen!“ Brennend heiß stand der fiese Gedanke ungebeten in ihrem Kopf. Erschrocken wischte sie ihn schnell zur Seite.
Ja natürlich. Die Demenz ihres Mannes war weit fortgeschritten. Er lebte in einer Welt aus tiefen, alten Erinnerungen ohne Bezug zum Hier und Heute.
Es gab ihr einen Stich ins Herz, die Figur in tausend Scherben zu sehen. Sehr behutsam, fast liebevoll hob sie die Teile vom Boden auf. Den Kopf mit der Pfauenmaske, die Hände und Arme in roten Handschuhen und dem gefiederten Kostüm, den Fächer, die anderen Teile.
Alles kam auf ein Tablett und das Tablett auf den Küchentisch.
Sie betrachtete die Teile und Ärger kam in ihr auf. Diese unnütze Figur, ach was: Dieser ganze Tand. Stand nutzlos herum und musste abgestaubt werden.
Und Karl war im Pflegeheim. Ihr lieber Karl war dort und nicht zu Hause bei ihr. Sie würde die Teile mitnehmen, ihm zeigen, das Mißgeschick erklären und ihn um Verzeihung bitten.
Wut mischte sich mit tiefer Trauer und beides entlud sich in einem tiefen Seufzer.
Vorsichtig packte sie die Stücke in eine Schachtel gepolstert auf ein Zewa Tuch. Die Schachtel kam in die Handtasche und die Handtasche fuhr in Begleitung von Maria in die Stadt.
Auf dem Weg zum Altersheim kam sie bei einem Geschäft für Bastelbedarf vorbei.
„Vielleicht kann ich die Figur kleben“, dachte sie. Gedacht, getan. Kurzentschlossen betrat sie das Geschäft und machte sich auf die Suche nach einem passenden Porzellankleber. Doch das war gar nicht so einfach. Das Regal mit den Klebertuben war schnell gefunden, aber da gab es eine Auswahl, die war überwältigend und verwirrend.
Eine Verkäuferin näherte sich leise und fragte Maria vorsichtig nach ihren Wünschen. Traurig und mit belegter Stimme erzählte Maria von ihrem Missgeschick.
Die Verkäuferin nickte verständnisvoll und führte Maria zu einem anderen Regal: „Ich empfehle ihnen diese Modelliermasse. Damit können sie ihre Figur von innen heraus füllen und wieder aufbauen. Da die Masse nicht auf die Bruchkanten aufgetragen werden muss bleiben keine sichtbaren Schäden. Dazu ist die Modelliermasse selbst härtend innerhalb von einer Stunde. Sie brauchen keine Nachbehandlung.“
Maria befand, das klinge gut und kaufte einen Block von der Modelliermasse. Im Altersheim angekommen, fand sie Karl schlafend im Bett vor. Lautlos machte sie sich an die Arbeit. Der Tisch wurde abgedeckt mit einer alten Zeitung, die Box mit den Teilen kam auf die Zeitung, daneben die Modelliermasse.
Vorsichtig füllte Maria den Körper des Maskentänzers mit der Masse. „Das geht besser als erwartet“, stellte sie erfreut fest. Je ein Klecks in die vielen Bruchstücke der Beine und Arme und alles sanft zusammendrücken. Eine kniffelige Arbeit. Marias Hände zitterten leicht. Endlich war es geschafft. Der Masktentänzer war wieder erstanden in seiner ursprünglichen Schönheit. Jetzt musste die Modelliermasse noch trocknen.
Aus dem Bett kamen undeutliche Geräusche. Karl erwachte und blickte mit müden und trüben Augen teilnahmslos an die Decke. Über ihm ging die Sonne auf in Form vom Marias Gesicht die sich über das Bett gebeugt hatte und ihm einen Kuss gab.
„Hallo Maria, schön, dass du bei mir bist“. Heute war ein guter Tag, denn Karl hatte sie direkt erkannt. Er setzte sich im Bett auf und sie plauderten eine Weile. Dann half Maria ihm hoch und führte ihn an den Tisch. Dort standen eine Flasche Wasser und zwei Gläser bereit. Das Personal war so freundlich und umsichtig gewesen auch für Maria ein Glas zu decken. Maria schenkte das Wasser ein und gab ihm das Glas: „Es ist wichtig, dass du viel trinkst“
„Das ist doch der Maskentänzer! Wie kommt der denn hier her?“ Ein Leuchten war durch Karls Gesicht gegangen. Er griff nach der Figur, hob sie vorsichtig und etwas unsicher hoch und hielt sie nahe vor sein Gesicht. „Weißt du noch, damals in Venedig? Das war ein schöner Urlaub“. Sie schwelgten in alten Erinnerungen an den schönen Urlaub und bessere Zeiten.
So eine berührende Geschichte! Es ist faszinierend, wie eine zerbrochene Porzellanfigur so viele Emotionen und Erinnerungen hervorrufen kann. Maria hat wirklich ein kleines Wunder vollbracht, indem sie den Maskentänzer so liebevoll repariert hat. Karls Reaktion zeigt, wie wertvoll solche Erinnerungsstücke sind und wie sehr sie uns mit vergangenen Momenten verbinden. Ich frage mich, ob Maria regelmäßig so handwerklich geschickte Dinge macht, oder ob das eine besondere Ausnahme war. Wäre es nicht schön, wenn es mehr solcher Geschichten gäbe, die uns daran erinnern, wie wichtig kleine Gesten und Erinnerungen sind? Was denkst du, könnte man aus solchen Erinnerungsstücken noch mehr machen, um sie noch bedeutungsvoller zu gestalten?