Die Villa liegt am Hang oberhalb einer südspanischen Hafenstadt. Unverbaubarer Blick in bester Lage. Onkel Hein hatte damals den richtigen Riecher und hat das riesige Grundstück gekauft bevor der internationale JetSet eingefallen ist und die Preise verdorben hat. Eine hohe Mauer schützt das Gelände gegen neugierige Blicke von der Straße. Die Grundstücksgrenze ist gesäumt von Palmen und mediterranen Büschen. Auch exotische Pflanzen sind dort zu finden, denn Onkel Hein ist ein Sammler von ungewöhnlichen Dingen.
Die Villa ist in schönen Orange Tönen gehalten, schlicht aber sehr elegant, steht sie da im Sonnenuntergang. Klassisches Understatement und hemmungslose Angeberei in einem. Hunderte kleiner Spots beleuchten effektvoll die weißen Marmorsäulen und den tief blauen Infinity Pool. Versteckte Lichter funkeln die Bäume an. Sie zaubern eine Urlaubsstimmung in den Garten. Auf der riesigen Wiese stehen weiße Zelte, es riecht nach Grillfleisch und maritimen Köstlichkeiten.
„Die ganze Familie ist versammelt“, denkt Peter: „Nur schade, dass es jedes Jahr weniger werden.“
Die Familie hat sich während der letzten drei Generationen über die die ganze Welt verstreut und trifft sich einmal im Jahr hier in Spanien. Onkel Hein bietet Kost und Logis für eine Woche gratis an, nur den Flug muss jeder für sich selbst bezahlen. Manche nutzen das für einen Kurzurlaub, zumal Onkel Heinz auch ein Golf Club in der Nähe gehört und seine Gäste selbstverständlich kostenlos spielen dürfen.
Peter steht am Rand des ausgelassenen Treibens. Diese Familientreffen sind nichts für ihn, aber er begleitet seine Mutter gerne hier her, weil sie wegen ihres Alters die anstrengende Reise nicht alleine unternehmen möchte.
„Ich brauche noch ein Bier“, meint Peter halblaut zu sich selbst mit einem prüfenden Blick in sein leeres Bierglas. Er wendet sich zum Haus und lässt die Bar im Garten links liegen
Er weiß, dass Onkel Hein die wirklich leckeren Dinge in seinem Keller aufbewahrt. Wie es sich für einen Mann mit Onkel Heinz Sammelleidenschaft gehört ist natürlich alles perfekt sortiert und geordnet in den Kellerräumen abgelegt. Peter geht langsam um das Haus herum, hält sich im Schatten der Büsche und schleicht die Kellertreppe hinunter. Dort brennt überraschenderweise kein Licht. Ein schummriges Zwielicht umgibt Peter auf seinem Weg die Stufen hinunter. Der Lärm von der Wiese verblasst und wird ersetzt durch das monotone, ewig gleiche Rauschen der Klimaanlagen. Peter öffnet die schwere, rostige Stahltür, schlüpft leise hindurch und steht im Kellergang. Ein Schauer läuft ihm den Rücken hinunter, doch die Vorfreude übernimmt rasch wieder die Kontrolle. „Die dritte Tür links“ redet er sich selbst Mut zu, so war es beim letzten Mal auch. Der Gang ist schummrig beleuchtet von Teelichtern die in den Wandnischen stehen.
Peter erreicht die gewünschte Tür, er kann das Aroma der alten Weine riechen. Da wird sein Blick gefesselt von einem blauen Glühen, dass er noch nie hier im Keller gesehen hat. Leise schleicht er näher und sieht, dass die Wand eine Geheimtür enthält. Geschlossen wäre sie perfekt getarnt, doch jetzt steht sie einen Spalt offen.
Peter schleicht sich heran und möchte durch den Spalt linsen, da wird die Tür mit einem Mal aufgerissen. Onkel Hein grinst ihn breit an: „Peter willkommen, du bist genau die Person auf die ich gewartet habe“
Noch bevor Peter reagieren kann wird er von Onkel Hein in den Raum gezogen und hinter ihm kracht die Tür ins Schloss. Im selben Augenblick fällt ein Käfig von der Decke herab und Peter ist gefangen.
Onkel Hein grinst immer noch: „Peter, wie schön, dass du es dieses Jahr hierhergeschafft hast. Ich möchte dir die Krönung meiner Sammlungen zeigen.“
Mit einer weit ausladenden Geste deutet Onkel Hein auf beleuchtete Kammern an der Wand. Peter braucht einen Moment um zu erfassen was er sieht. In jeder Kammer steht ein Familienmitglied. Großtante Edeltraut, die angeberische Marge aus den Vereinigten Staaten, die kleine Elisabeth von der Ranch in Südafrika. So geht es weiter. 18 Kammern sind bereits gefüllt, doch es gibt auch 23 leere Exemplare. Die Menschen darin sehen frisch aus, als ob sie von der Party gekommen wäre und hier ein Nickerchen machen würden. Doch das täuscht.
„Ist es nicht wunderbar?“ fragt Onkel Hein: „Jedes Jahr darf ein Familienmitglied Teil meiner Sammlung werden. Ich habe da einen wunderbaren Präparator an der Hand der die natürliche Farbe und Struktur der Haut perfekt erhalten kann, während der Körper ausgestopft wird. Sie alle waren etwas zu neugierig, so wie du heute. Ich danke dir von Herzen für die freiwillige Bereitschaft als Nummer 19 hier einen Platz für die Ewigkeit zu bekommen.“
Die Zeit steht still für Peter. Onkel Hein redet weiter aber die Stimme wird dumpf, das Ticken der Uhr an der Wand setzt aus. Peter sieht die Staubflocken in einem Sonnenstrahl tanzen, langsam sinken sie zu Boden. Peters Kopf dreht sich nach rechts und fühlt sich dabei unendlich schwer an. Die Luft ist zu durchsichtiger, transparenter Dickmilch geronnen, schließt ihn ein und will seine Bewegung verhindern. Das Atmen fällt ihm schwer. Sein Blick wandert über die vollen und leeren Kammern und erreicht eine Art Werkbank aus Edelstahl. So etwas sieht man normalerweise in der Pathologie. Dahinter blubbert es träge in einem Tank, der mit einer leuchtend grünen Flüssigkeit gefüllt ist. Davor ist ein kreisrundes Loch im Boden.
Mit einem Ruck wird Peter in die Wirklichkeit zurückgeholt. Sein Käfig bewegt sich vollautomatisch auf das Loch zu. Der zeitlose Moment ist vorbei und Peter muss wieder dem unerträglich fröhlichen Gelaber von Onkel Hein zuhören: „…. Wie du dir sicher schon denken kannst werden wir dich mit deinem Käfig jetzt in dieses Loch versenken. Das ist mit Kohlendioxid gefüllt und wird für einen kurzen schmerzlosen Erstickungstod sorgen. Bitte wehre dich nicht dagegen, ich möchte keine Risse in deiner Kleidung haben, sondern dich in voller – naja sagen wir mal – Schönheit ausstellen.“
Peters Gedanken rasen. Der Käfig sitzt verdammt eng, die Stäbe sind aus stabilem Edelstahl. Da ist kein Herauskommen. In einer Ecke hinter dem Tank nimmt Peter einen älteren Mann wahr.
„Natürlich“, fährt es ihm in den Sinn: „Onkel Hein arbeitet hier bestimmt nicht alleine.“ Selbst wenn er Onkel Hein besiegen könnte, gibt es immer noch einen zweiten und bestimmt einen dritten mit dem er fertig werden muss. So eine Villa braucht viel Personal.
Onkel Hein redet weiter auf Peter ein: „Bitte beruhige dich. So viel Stress ist nicht gut. Der Koch bekommt morgen das Fleisch aus deinen Oberschenkeln für das Ragout. Wenn da zu viel Adrenalin drin ist schmeckt es sauer, so wie bei Irmtraud vor zwei Jahren“
Peter muss kotzen. Der Würgereiz überfällt ihn, das Signal geht von den Ohren direkt in den Magen ohne das Gehirn zu konsultieren. Der Schwall trifft Onkel Hein zwar körperlich aber nicht seelisch.
„Ja lass es raus Peter. Ein leerer Magen ist viel besser für den Präparator.“, lächelt Onkel Hein milde. Aus einer weiteren versteckten Ecke kommt ein Bediensteter herangeeilt und trocknet Onkel Hein mit einem großen, flauschigen, strahlend weißem Handtuch ab. Peter kann jede Faser präzise erkennen. Die Todesangst hat seine Sinne so geschärft wie er es noch nie erlebt hat, aber leider den Fokus auf die völlig falschen Details gelegt. Sein Blick hängt wie festgeklebt am Handtuch, während der Käfig sich ratternd dem Loch nähert.
Onkel Hein strahlt Peter an: „Jetzt mach doch nicht so ein Gesicht. Du hast es ja gleich geschafft. Denk bitte daran: Ganz ruhig Ein und Ausatmen, so kann das Kohledioxid seine Wirkung am besten entfalten.“
Peter windet sich in seinem Käfig. Seine Aufmerksamkeit hat vom Handtuch abgelassen und ist jetzt hart auf das Lock im Boden fixiert.
Peter windet sich erneut und da passiert es: Sein Arm schlüpft durch die Gitterstäbe und hängt jetzt außerhalb des Käfigs. Peters Film schaltet zurück in Zeitlupe. Mit unendlicher Langsamkeit kommt sein Unterarm in die Höhe. In dieser Geschwindigkeit faltet sich ein Gebirge auf, wenn sich zwei Kontinentalplatten treffen. Diese Kraft aus den Tiefen der Erde ist unaufhaltsam und unausweichlich. Verlauf und Ergebnis sind vorherbestimmt. Menschen können das nur staunend erleben aber nicht verstehen oder ändern. Mit der Vehemenz und Zielstrebigkeit einer Kontinentalplatte trifft der Arm Onkel Hein an der Brust und Peters Hand schließt sich. Langsam graben sich Peters Fingernägel in den Stoff von Onkel Heins Hemd. In majestätischer Langsamkeit spannt sich das Hemd, während die Kralle, die einst Peters Hand war, immer fester zu greift. Das große Raubtier hat die Beute gepackt und wird nicht mehr loslassen. Diese Entscheidung ist endgültig.
Das Bewegungsmoment reißt Onkel Hein von den Füßen. Mit der Bewegung kommt auch die Geschwindigkeit zurück in Peter Leben. Millionen Jahre schrumpfen zu einer Sekunde. Onkel Hein schwingt um den Käfig herum, wie die äußerste Gondel an einem Kettenkarusell. Ein unartikuliertes Stöhnen schwingt mit. Die Käfigkonstruktion setzt der Drehung ein Ende und der Schwung lässt Onkel Hein aufsteigen wie eine Schiffsschaukel die von zwei übermütigen Kindern auf dem Jahrmarkt an ihr äußerstes getrieben wird. Onkel Hein verharrt kurz am obersten Punkt der Bewegung, schwebend, gehalten von Peters Arm. Da hängt er nun, ein aufgeblasenes Nichts in einer glänzenden Hülle, wie ein Heliumballon am Seil in der Hand eines unschuldigen Kindes. Gleich wird das Kind einen unachtsamen Moment haben und der Ballon entschwindet auf ewig in das Dunkel der Nacht. Die Sterne über dem Jahrmarkt glitzern und so steht auch ein Glitzern in Peters Augen.
Die Bewegung kehrt zurück, genau wie die Schiffsschaukel schwingt Onkel Hein an Peters Arm zurück, durchquert den tiefsten Punkt der Kurve zügig und steigt auf der anderen Seite auf. Wieder folgt ein zeitloser Moment. Onkel Hein schaut aus angstgeweiteten Augen genau in Peters Augen und sieht darin die Sterne glitzern. Wie klein und unbedeutend sind Menschen angesichts der unendlichen Erhabenheit der Sterne an einem schwarzen, klaren Nachthimmel. Von Onkel Hein ist nichts mehr übrig, nur Schrecken. Denn er hat realisiert was passieren wird.
Peter lässt los. Die Kralle zieht sich zurück, das Gebirge ist aufgefaltet, es ist vollbracht.
Onkel Hein stürzt senkrecht in das Loch gefüllt mit Kohlendioxid, die Füße zuerst. Er gleitet so elegant hinein wie ein gut gefetteter Torpedo in sein Abschussrohr: glänzend, gefährlich – aber möglicherweise ein Blindgänger.
Ein Schrei kommt aus der Ecke, gefolgt von dem alten Mann. In drei langen Schritten ist er am Loch, beugt sich hinunter und ruft: „Hein! Kannst du mich hören? Nimm meine Hand! Ich rette dich!“ Aus dem Loch kommen erstickte, undeutliche Geräusche. Der Mann beugt sich tiefer.
Vielleicht ist es Zufall, vielleicht ist es Schicksal, dass genau jetzt der wild umherschwingende Käfig von seinem Mechanismus weiterbewegt wird und dem knienden Mann einen Stups verpasst. Mit einem überraschten „Huch“ verschwindet der ältere Mann kopfüber im Loch und es ertönt ein hässliches Knirschen.
Gleich darauf wird Peters Käfig wie vorgesehen vom Mechanismus in das Loch abgesenkt. Leider weiß der Mechanismus nichts vom neuen Inhalt und versucht mit aller Kraft Peters Käfig wie vorgesehen vollständig zu versenken. Die unerwartete Füllung leistet heftigen passiven Widerstand, sie will sich nicht zusammenpressen lassen. Das sähe als Präparat bestimmt auch nicht mehr schön aus.
Nach einigen Versuchen erweist sich der Käfig als Schwachstelle und springt auf. Peter ist frei und tritt einen Schritt aus dem Käfig heraus. Sicher ist sicher, sonst wird er am Ende doch noch zerquetscht. Hinter ihm ertönen weiter Geräusche mechanischen Leidens, aber sonst ist es still geworden. Die Diener und Schergen von Onkel Hein haben sich verzogen. Es scheint als wäre Peter das einzige lebende Wesen in diesem Teil des Kellers.
Oben auf der Wiese ist es still geworden. Leises Schluchzen kündet von der Tragödie. Peter hat die Kellertüren im Haus und den Anwesenden die Augen geöffnet. Eine traurige Prozession zieht langsam durch den letzten Kellerraum, die Familie nimmt Abschied von jenen, deren Leben auf so grausame Weise verkürzt wurde. Onkel Hein hatte viele Sammlungen, doch diese letzte war eine zu viel.
Das Loch im Kellerboden wurde mit Beton versiegelt. Es erschien den Anwesenden die passende Begräbnisstätte. Die Alternative wäre gewesen die Leiche von Onkel Hein an die örtliche Fauna zu verfüttern. Wildschweine haben sehr kräftige Kiefer und können fast alles verdauen. Aber bestimmt hätten Onkel Hein und sein Präparator sauer geschmeckt. Das wollte man den armen Tieren nicht zumuten.
Es ist faszinierend, wie Peter die familiären Zusammenkünfte und die Geheimnisse im Keller von Onkel Hein beschreibt. Die Atmosphäre im Keller wird so detailliert geschildert, dass man sich fast selbst dort fühlt. Die Entdeckung der Geheimtür verleiht der Geschichte eine spannende Wendung. Ich frage mich, was sich wohl hinter dieser Tür verbirgt und welche Bedeutung sie für die Familie hat.
Diese Gabe, so spannend und faszinierend eine kleine psychopatische Gruselgeschichte um die Ecke zu schieben, ist einfach phantastisch.
Erst diese nette Multimillonärs-Szenerie einer schönen Welt, in der sich doch alle Menschen so herzlich willkommen heißen würden, welche nach kurzer Zeit einer zu großer Wahrscheinlichkeit in der Familie liegenden Sucht, der Suche nach alten gut gelagerten Tropfen, sich in eine dermaßen abartig gruselige Situation verwandelt, bot mir an meinem ersten freien Tag des Urlaubs eine schöne Lesezeit. Gespickt mit „Hach wie schön“, Spannung, Erstaunen und Zufriedenheit mit dem Ausgang der Geschichte.
Ich sage wieder mal Danke für ein großartiges Leseerlebnis.