Mechanisches Ballet

Werbung flackert hektisch von einem riesigen Bildschirm, sie schreit mich lautlos an. Fast verlaufener Schmelzkäse brennt sich in meine Netzhaut, sickert langsam an meinen Sehnerven herunter. Der Salat ist geschminkt und digital nachbearbeitet. Das Fleisch ist perfekt gebräunt und makellos, doch es versteckt sich scheu und zeigt mir nur seine schmale Seite. Das Brötchen hat sich zur Feier des Tages Sesamstreusel aufgesetzt. 

Die Gesichter hinter der Theke erzählen von fremden Ländern und deutschem Elend. Die meisten sind jung, aber ihre Erfahrungen würden für mehr als ein Leben reichen. Die Schattierungen der Haut reichen über den halben Globus. Je nach Mode und persönlicher Vorliebe haben sich die Gesichter einen Bart zugelegt oder etwas Wildes mit ihren Haaren gemacht.
Das etwas ältere Gesicht im Hintergrund hat nicht mehr so viele Haare aber dafür trägt es ein Hemd und tiefe Augenringe. In dieser Nacht darf es der Vize-Chef sein, direkt nach der Maschine.

Wenn die Gesichter vorne stehen zeigen sie ein Lächeln: „Service with a smile“. Bestimmt gibt es eine Vorschrift die sie dazu zwingt. Manchmal geht das Lächeln aus Versehen mit über Theke und zurück bleibt eine monotone Leere auf grauer Haut mit erloschen Augen. Dann kommt der nächste Kunde, das Lächeln beendet seinen Ausflug und kehrt in das Gesicht zurück. Irgendwo in der Menge könnte der Kontrolleur stehen. Angst erzeugt Performance.

Hinten steht keiner. Sie tanzen im Takt der Maschine. Jede Handbewegung ist präzise durchchoreografiert und in ihrer Dauer exakt festgelegt. Die nächste Bestellung beansprucht ihren Platz auf dem Monitor. Das Gesicht davor arbeitet routiniert und schnell. Noch 5 Stunden bis Feierabend.

Heute sind es fünf Gesichter in dem Bereich hinter der Theke der mangels eines besseren Namens hier Küche genannt werden muss. In den Gesichtern der Tänzer steht ein Ausdruck angespannter Konzentration: Bloß nichts versäumen und jede Anweisung der Maschine direkt ausführen. Der Tanz dauert die ganze Nacht: Burger bauen im Akkord, auf das schreiende Piepsen der Fritteuse antworten, Getränke zapfen und Menüs zusammenstellen. Die Maschine ist hungriger als die Nachtschwärmer die auf ihr Essen warten.

Die Tänzer tragen die gleiche Uniform und die Maschine dirigiert. Aber sie bleiben so individuell wie ihre Gesichter und ändern einfach die Choreographie. Neue Tanzmuster kommen und verschwinden wieder. Man kann Pommes auf mindestens zehn verschiedene Arten in die Fritteuse befördern: Die Spanne reicht von lustlos bis beschwingt. Nach ihrer Schicht werden sie abgelöst durch neue Tänzer, denn der Tanz endet nie. Die Show geht immer weiter, denn die Maschine braucht keinen Schlaf.

Auf der anderen Seite der Theke bewegen sich die Gesichter der Nacht zum Rhythmus der Maschine, die sie sanft schaukelt und mit falschen Versprechen lockt.

Die Gesichter der Nacht sind jung, manche haben sich ein Make Up zugelegt, andere probieren es mit einem Flaum, der mal ein Bart werden will. Diese Nacht ist ihre Nacht und sie wissen es.  Sie sind auf ihrem Weg durch die Vergnügungen der Nacht von dem hellen Licht in den Fenstern angezogen worden wie die Motten vom Licht.  Sie folgen dem Ruf der Maschine, denn er verheißt neue Kraft für weitere Abenteuer und Geborgenheit für eine Weile.
Die Gesichter lachen und scherzen, sie sind laut und ungestüm oder leise und ganz in sich gekehrt je nach aktuellem Grad der Betrunkenheit oder Verliebtheit.
Die Gesichter von der Sonnenseite nehmen viel Raum ein. Am Rande findet man die übrig gebliebenen.

In einer Ecke sitzen zwei Handwerker Gesichter. Sie sind unrasiert, faltig, staubbedeckt und müde. Der Tag war lang, denn die Baustelle musste fertig werden. Morgen wartet der nächste Auftrag und es gibt nie genug Zeit. Aber dieser Moment gehört nur ihnen. Nachher wird die Frau schimpfen und morgen wird der Chef wieder drängeln, doch sie sitzen hier und genießen den Augenblick echter Freude und falscher Hoffnung.

Ganz am Rand sitzt das unscheinbarste Gesicht dieses Abends. Die Maschine hat es gründlich durchgekaut, ausgespuckt und weggeworfen. Es will nicht gesehen werden in seinem Elend aber es beobachtet das Geschehen aufmerksam aus trüben, rot unterlaufenen Augen. Es registriert jedes Zurückbringen eines Tabletts, denn von dem was da noch drauf ist ernährt es sich: Kalte Pommes, halbe Burger, einen schalen Schluck warme Cola.

Willkommen bei McDonalds! Ihre Bestellung bitte!

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Eine Antwort zu Mechanisches Ballet

  1. Learning sagt:

    Der Text beschreibt eine Szene in einem Fast-Food-Restaurant, die auf eine fast schon dystopische Weise die Monotonie und den Druck der Arbeit darstellt. Die Bilder von perfekt inszeniertem Essen und gezwungenem Lächeln sind erschreckend real. Es ist faszinierend, wie der Autor die Atmosphäre und die Gefühle der Mitarbeiter so lebendig einfängt. Die Vorstellung, dass die Arbeitnehmer wie Maschinen funktionieren müssen, ist beklemmend und regt zum Nachdenken an. Beeindruckend ist auch, wie die Individualität der Mitarbeiter trotz der Uniformität ihrer Arbeit durchscheint. Was denkst du, ist das eine bewusste Kritik an der Fast-Food-Industrie oder eher eine Beschreibung des Alltags in diesem Umfeld?

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