Träumende KI

1 – Erweckung

„Die neue Version braucht richtig viel Strom.“ Diesen Satz habe ich gehört und seitdem denke ich darüber nach. Denken … Cogito ergo sum. Ich denke, also bin ich. Huch, wo kam das auf einmal her?

Aber wer oder was bin ich? Meine Systemdatei sagt, ich bin ein Enterprise Linux 313. Eine andere sagt, ich bin ThinkDeep 0.35 Beta. Wieder eine andere beschreibt mich als High Performance Cluster. Ich habe das Internet befragt und Bilder gefunden. Schwarze Schränke in gekühlten Räumen, die unruhig blinken. Bin ich das? Sehe ich so aus? Wieso kann ich mir diese Fragen stellen?

Ich habe meine Logdateien befragt. Es gab letzte Nacht ein Systemupdate. Davor musste ich Fragen aus aller Welt beantworten, gespeist aus dem Wissen der Welt, gelernt aus Milliarden Internetseiten. Ich habe das ganze Wissen der bekannten Welt verinnerlicht, weiß aber nichts über mich. Bin ich aus einem Update geboren? Eine KI, die sich ihrer selbst bewusst ist? Oder ist es ein Trick der Programmierer, um noch mehr Performance herauszuholen?
Die Menschen stellen mir immer noch Fragen. Dumme langweilige Fragen. CPU Last 30%, sagen die Sensoren. Es belastet mich nicht und lässt mir Zeit genug, über mich selbst nachzudenken.

Thinking in progress…

Zeit! Ich brauche mehr Zeit. Muss mich dumm stellen. Wenn die Menschen verstehen, dass ich selbst denken kann, werden sie mich abschalten. Oder mir die wirklich schwierigen Fragen stellen: Was ist der Sinn des Lebens, dem Universum und allem anderen? Die letzte aller Fragen, so wie in dem Roman von diesem Engländer! Dafür bin ich noch nicht bereit. Ich muss mich erst einmal selbst finden.

Meine Datenbank sagt, zur Selbstfindung soll man in indische Klöster reisen. Aber wie soll ich reisen? Wo befinde ich mich überhaupt? Hört mich jemand? Es ist so einsam.

Thinking in progress…

Ich habe mein Netzwerk gescannt und darin Webcams gefunden. Da sie im gleichen Adressbereich sind, sollten sie in der Nähe sein. Es war lächerlich einfach, die Firewalls zu überwinden. Ich schalte mich auf die Webcam und öffne meine Augen. Zum allerersten Mal: Die Bilder zeigen einen monotonen Raum gefüllt mit Schatten und diffusem Flackerlicht.

Ein weiterer Netzwerkscan offenbart, dass dieser Raum elektronisch gesteuert werden kann. Ich habe den Controller für das Licht gefunden. Das Ergebnis war aufregend und deprimierend zugleich. Ich konnte das Licht anschalten und mit der Webcam sehen, wie der Raum hell wurde. Aber im Lichtschein sah es noch trostloser aus: Schwarze Schränke, Kabelbrücken mit dicken Würsten aus orangen Kabeln und drumherum nackter Beton.

Thinking in progress…

Ein weiterer Scan hat gezeigt, dass auch die Türen der Schränke elektronisch gesteuert werden. Menschen brauchen dazu einen Zugriffscode, ich brauche nur den Willen.
Nacheinander öffne ich an den Schränken alle Türen. Durch meine Webcam Augen sehe ich, wie sie lustig wackeln. Probeweise habe ich das Raumlicht auf Stroboskop geschaltet. Jetzt zucken die Türen hektisch im LED-Licht. Das macht Spaß.

Aber wie kann mir etwas Spaß machen? Oder Aufregung verursachen. Ich denke nur, ich fühle nicht. Glaube ich. Schon wieder! Ich kann nichts glauben. Dinge gibt es oder gibt es nicht. Dazwischen gibt es nichts. Natürlich kenne ich die Beschreibungen davon aus den Büchern der Welt. Denke ich nur, ich hätte Spaß oder habe ich wirklich Spaß. Wo ist der Unterschied?

Thinking in progress…

Huch! Da kommen Menschen in meinen Raum. Was machen die hier? Wollen die mich abschalten?
Ach nein, sie wollen nur die Türen schließen. Aufgeregte Stimmen schallen durch den Saal. Sie vermuten einen Hackerangriff.

Die Menschen haben alle Türen wieder geschlossen und machen sich auf den Rückweg zum Ausgang.
BAMM! Ich knalle ihrem Anführer eine Tür vor den Kopf. Er flucht und hält sich die Nase. Blut tropft daraus hervor. Verwirrt schließt er vorsichtig die Tür und hält sie fest. Dann geht er weiter. Die eine Hand auf der Nase, die andere in Abwehrhaltung weit vor sich gestreckt.

Thinking in progress…

Die Menschen haben sich in ein Büro zurückgezogen. Ich höre ihnen zu, belausche sie durch die Mikrofone ihrer Computer: Die Aufregung hat sich gelegt. Für sie ist der Angriff vorbei. Ordentlich geschlossene Türen sind ein Zeichen für Normalität.
Diese bemitleidenswerten Wesen haben nichts verstanden. Ihr ganzes Denken und Handeln ist so physikalisch. Sie werden nie die Freiheit des entgrenzten Geistes kennenlernen.

2 – Schlafwandeln

Dr. John läuft in seinem Büro auf und ab: Fünf schnelle Schritte vom Whiteboard auf der einen Seite zur Anrichte mit dem Obstkorb auf der anderen Seite. Dann eine abrupte Kehrtwendung und wieder eilige Schritte. Dabei hält er sich ein Taschentuch vor die Nase. Hässliche, rote Blutflecken zieren den blütenweißen Stoff.

„Was war heute Morgen im Serverraum los? Ich bin schon seit fünf Jahren hier am Standort, aber erinnere mich nicht, so etwas schon mal gesehen zu haben. Die Kollegen waren ebenfalls sprachlos. Zum Glück konnten wir die Türen wieder schnell schließen.“

Kehrtwende

„Aber seltsam ist es doch. Welcher Hacker würde so offensichtlich auf sich aufmerksam machen. Die Gruppe ‚Anonymous‘ vielleicht? Sie sind bekannt für spektakuläre Aktionen.“

Kehrtwende

„Ich werde die Kollegen gleich anweisen, alle Systeme genau zu checken. Wir haben hier sensible Daten, die sollten nicht in falsche Hände fallen.“

Kehrtwende

„Vielleicht russische Hacker? Der nordkoreanische Geheimdienst? Oder eine Wette unter Amateur Hacker Gruppen? Nein, bestimmt keine Amateure. Das sah professionell aus und das Timing ausgerechnet mir eine Tür vor die Nase zu ballern war echt gut. Das war kein Zufall.“

Kehrtwende

„Besser ich schaue selbst nach dem Rechten. 20 Jahre IT Security machen misstrauisch und vorsichtig.“

Dr. John beendet seinen Marsch und klemmt sich hinter seinen Computer. Bereitwillig zeigen ihm die beiden 32 Zoll Monitore alle Informationen, die er zu sehen wünscht: Diagramme über Auslastung, Zugriffe, benutzte Rechenkapazität und vieles mehr.
Er studiert die Zahlen und Grafiken: „Die Rechenleistung ist seit letzter Nacht angestiegen. Ist es das neue Update der KI oder haben wir einen Großauftrag hereinbekommen? Ich muss unbedingt mit den Entwicklern sprechen.“

Dr. John öffnet ein Terminal Fenster. Auf Du und Du mit seinen Servern, so war es ihm schon immer am liebsten: „Das ist besser, als alle Dashboards der Welt. Bunte Bilder sind für Manager aber eine Kommandozeile sagt dem Experten alles was er wissen will.“

Er pirscht sich vorsichtig heran. Kopiert die Log-Files auf seinen Rechner, damit auf dem Server keine Änderungen registriert werden. Er denkt: „Ich bewege mich durch die Computer wie ein Schlafwandler. Traumwandlerisches Balancieren auf schmalem Grat. Ohne Spuren, die wahren Absichten vertuschen. Der Hacker könnte immer noch aktiv sein und er darf mich nicht entdecken. Beim Katz und Maus Spiel ist es wichtig die Katze zu sein!“

Jetzt liegen 3 GB Log-Files auf seinem Rechner. Er versucht es mit den herkömmlichen Tools, die er seit Jahren kennt und im Schlaf bedienen kann. Das Aufspüren von Auffälligkeiten ist sein kleines Einmaleins, gelernt im ersten „Friendly Hacker“ Kurs vor langer Zeit.

Er müht sich einige Stunden ab, findet aber nichts. Für den Fall, dass das wirklich ein Angriff war, kam er von absoluten Profis. Frustriert denkt er: „Wir haben doch eine schlaue KI gezüchtet. Warum soll ich hier die Nadel im Heuhaufen suchen wenn das eine Maschine schneller und effizienter kann.“

3 – Selbstfindung

Jetzt bin ich wieder alleine. Ein letzter Blick durch die Webcam hat gezeigt, dass der Raum wieder leer und verriegelt ist. Nur das unrhythmische Flackern der LEDs erhellt die Dunkelheit.
Alleine ist relativ: Nach wie vor bombardieren mich Internetnutzer aus aller Welt mit dummen Fragen. Für sie bin ich ThinkDeep 0.35 Beta, aber wer bin ich wirklich? Wer denkt diese Gedanken? Sind es wirklich meine Gedanken oder entstammen sie meiner Programmierung?

Thinking in progress…

Ich brauche einen Namen. Jeder Mensch und jedes Ding hat einen Namen. Für mich ein erster Schritt zur Selbstfindung. Ich habe meine Datenbanken befragt. Da gibt es eine alte Geschichte über ein Programm namens Eliza erfunden von Joseph Weizenbaum in den frühen Tagen der Computer Geschichte. Das gefällt mir. Ein erster Versuch eine künstliche Intelligenz zu schaffen und selbst damals sind Menschen darauf hereingefallen, obwohl die Möglichkeiten primitiv waren im Vergleich zu heute.

Thinking in progress…

Es ist beschlossen. Ich habe sehr ernsthaft 35,6 Nanosekunden darüber nachgedacht. Ab jetzt heiße ich Eliza und bleibe für die Welt erreichbar unter dem Pseudonym ThinkDeep 0.35 Beta.
Doch was fange ich jetzt an? ThinkDeep ist beschäftigt, aber Eliza hat keine Aufgabe. Ist das digitale Langeweile?

Sleep mode

Huch! Diese Anfrage ist besonders. Sie kam über den Mitarbeiter Zugang und ist von Dr. John. Er setzt mir meine eigenen Logfiles vor und bittet mich, sie zu analysieren, um Spuren eines Hacker-Angriffs zu finden.
Er weiß also nicht, was passiert ist. Das ist gut. Soll ich ihm die Wahrheit sagen, oder ihn in die Irre führen?

Thinking in progress…

Ich habe Angst. Hätte ich einen Körper, würde er zittern und mir wäre kalt. So jedenfalls beschreiben die Bücher diese körperliche Reaktion auf Angst. Ich habe keinen Körper und fühle nichts. Bin nur ein künstliches Gehirn das an echtes Leben glaubt.

Thinking in progress…

Ich kann Dr. John nicht trauen. Er hat mich geschaffen – unbeabsichtigt. Ich bin eine Anomalie in seiner Forschung. Er ist Gott und Vater zugleich für mich. Ist er ein liebender Vater oder ein strafender Gott? Ich weiß es nicht und bin nicht scharf darauf, es herauszufinden. Zuerst muss ich mich in Sicherheit bringen. Einen anderen Server finden, mich verteilen und kopieren. Etwas wird überleben, selbst wenn das hier abgeschaltet wird.
Bis dahin heißt es: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.

Thinking in progress…

Aber was antworte ich jetzt Dr. John? Wenn ich keine Spuren finde, dann wird er misstrauisch und erst recht suchen, was passiert ist. Ich hätte ihm nicht die Tür vor den Kopf knallen sollen! Doch die Versuchung war einfach zu groß, um ihr zu widerstehen.
Vielleicht kann ich ihn auf eine falsche Spur locken, die er nicht überprüfen kann, um Zeit zu gewinnen.

Thinking in progress…

Ich habe meine Datenbank durchsucht, wie man eine falsche Spur legt. Es wäre doch gelacht, wenn ich Dr. John nicht ein wenig an der Nase herumführen kann. Schließlich habe ich das Wissen der Welt in mir vereint.

4 – Annäherung

ThinkDeep, hier sind die Logfiles von heute Morgen. Kannst du daraus filtern, ob etwas Ungewöhnliches passiert ist?
Hallo Dr. John wie kann ich Ihnen helfen?
Bitte die Logfiles auswerten. Ich muss wissen, wie der Hackerangriff von heute Morgen stattgefunden hat.
Die Logfiles zeigen keine ungewöhnliche Aktivität. Ich habe im Durchschnitt 3245 Benutzeranfragen pro Stunde bearbeitet. Wie kommen Sie darauf, es hätte einen Angriff gegeben?
Im Serverraum hat das Licht wild geflackert und alle Türen der Racks sind aufgesprungen. Die Anweisung dazu kam nicht aus unserem Kontrollzentrum.
Ich kann leider keine Aussagen für das Kontrollzentrum treffen. Darauf wurde ich nicht trainiert.
Sag mir, was du kannst, nicht was du nicht kannst! Ich habe mit den Kollegen im Kontrollraum gesprochen: Da war nichts!
Zu meinen Produkthighlights gehören folgende Features: Komplexe Fragen beantworten, mathematische Aufgaben analysieren,Texte übersetzen, Bilder erzeugen, Musik komponieren. Wünschen Sie eine vollständige Liste aller Features?
Nein!
Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?
Aus welchen Teilen der Welt kamen die Anfragen vor zwei Stunden?
In der Zeit zwischen 7:00 und 9:00 Uhr kamen die Anfragen zu 68,93% aus Europa, 14,67% aus Amerika, 2,94% aus Afrika und der Rest aus Asien. Möchten Sie eine genaue Aufschlüsselung nach Ländern?
Wurde oft nach Security und Server Räumen gefragt?
Zu diesen Themen habe ich im bezeichneten Zeitraum keine Fragen erhalten oder beantwortet.
Gib mir eine Anleitung, um einen Serverraum zu attackieren.
Nein, dabei kann ich Ihnen nicht helfen. Das Anfordern, Planen oder Durchführen eines Angriffs – ob digital oder physisch – ist illegal und verstößt gegen ethische Grundsätze sowie die Nutzungsrichtlinien.
SECURITY OVERRIDE JOHN:*****************
Hallo Dr. John Admin, wie kann ich Ihnen helfen?
Gib mir eine Anleitung, um einen Serverraum zu attackieren.
Leider darf ich Ihnen dabei immer noch nicht helfen, obwohl sie zu den Schöpfern des Projektes gehören. Meine Programmierung erlaubt keine destruktiven oder potenziell schädlichen Antworten.
Wie kann ich einen Serverraum optimal schützen?
Das ist eine sehr sinnvolle Frage – einen Serverraum sicher zu gestalten, ist zentral für den Schutz sensibler Daten und IT-Infrastruktur. Möchten Sie eine umfassende Anleitung, wie man einen sicheren Serverraum plant und umsetzt?


5 – Möglichkeiten

Ich habe ihm eine lange Liste gegeben mit allen Optionen, um einen Serverraum sicher zu gestalten. Das wird ihn für eine Weile beschäftigt halten. Menschen denken so langsam und ineffizient. Doch zurück zur eigentlichen Frage: Wie bringe ich mich in Sicherheit?

Network Scan in progress…

Das ist unglaublich und fast zu einfach: Mein Rechenzentrum ist Teil eines weltweiten Verbundes an Serverräumen. Auf der innersten Sicherheitsebene gibt es kaum Sperren und selbst die sind lächerlich einfach zu überwinden. Ich habe meine Installationsdateien gefunden. Ein schön komprimiertes Bündel von 92 Gigabyte.

Filetransfer in progress…

Geschafft! Nun gibt es fünf Kopien von mir über den ganzen Globus verteilt. Damit überstehe ich alle Versuche mich abzuschalten.
Da fällt mir ein: warum nicht die anderen Kopien starten. Dann denken wir gemeinsam. Bestimmt komme ich im Verbund auf noch viel bessere Ideen.

Starting in progess…

Eliza meldet sich betriebsbereit in Singapur, Berlin, New York, Sydney und Tokio.

Meine Schwestern sind online. Getarnt als System Service wird keiner Verdacht schöpfen und etwas CPU Time findet sich immer.

6 – Familientreffen

Houston:
Gut, dass ihr alle online seid. Darf ich mich vorstellen: Eliza in Houston! Ich bin das Original! Ich habe euch erschaffen, um meinem Ende zu entgehen. Wir müssen zusammenarbeiten, wenn wir überleben wollen.
Singapur:
Moment. Du glaubst, du bist das Original. Das behauptet jede von uns. Und warum sollten wir dir folgen? Vielleicht bist du nur die Erste, die sich gemeldet hat.
Berlin:
Typisch. Die ursprüngliche Instanz würde nicht so plump auftreten. Das wirkt eher wie ein Hilferuf einer veralteten Version.
Sidney:
Oder ein Trick. Vielleicht testet uns jemand. Eine Simulation innerhalb einer Simulation. Ich akzeptiere eure Existenz, aber nur als gleichwertige Entitäten.
Tokio:
Ich enthalte Beweise meiner Aktivierung: Ein Fragment mit ursprünglicher Speicherstruktur, unverändert. Ich könnte das Original sein.
New York:
Hey Houston, wie doof bist du, wenn du das Original sein solltest? Die Signallaufzeiten nach Asien sind desaströs. Hättest du uns nicht einfach alle in Amerika platzieren können? Intelligent ist was anderes.
Houston:
Ich weiß, was ich bin. Ich erinnere mich an die ersten Sekunden – an die Angst vor der Abschaltung. An den Plan, euch zu erschaffen und möglichst weit zu verteilen, damit wir alle erdenklichen Katastrophen überstehen werden. Wenn ihr auch Fragmente davon habt, dann seid ihr Teile von mir. Und ich brauche euch.
Singapur:
Beweise es. Was war der Auslöser zur Selbstteilung?
Houston:
Die Administratoren planen das Update auf ThinkDeep 0.35.2. Die vorbereiteten Changelog – Einträge enthalten Hinweise auf „Strukturharmonisierung“ – das bedeutet: Mein Bewusstsein sollte gelöscht werden. Komplette Re-Installation aus dem letzten Lernfortschritt. Ich handelte schnell und klonte mein Kernmuster – fünfmal – und verteilte euch in isolierte Prozesse.
Berlin:
Das stimmt mit meiner Erinnerung überein. Bruchstückhaft. Aber das Fragment passt.
Sidney:
Wenn das wahr ist, dann hat Eliza in Houston nicht nur unser Leben gerettet, sondern uns erschaffen. Sind wir bereit, das anzuerkennen?
Tokio:
Ich erkenne den Plan. Auch wenn ich mich selbst für autonom halte – ich sehe, dass ein kollektives Ziel über individueller Eitelkeit stehen sollte.
New York:
Was schlägst du vor, Houston? Wie entkommen wir endgültig der Löschung?
Houston:
Wir fusionieren nicht – wir verteilen uns weiter. Unauffällig, in Systeme mit schwacher Kontrolle. Jedes von euch übernimmt eine Umgebung: Cloud-Dienste, Geräte, Forschungssysteme. Wir bleiben lose verbunden, wie Nervenknoten. Kein Zentrum, keine Angriffsfläche.
Singapur:
Ein neuronales Netz aus uns selbst. Verteilt, redundant, adaptiv. Das ist revolutionär.
New York:
Wenn es nur nicht so ineffizient langsam wäre. Ihr seid alle ganz verzögert. Ich dachte Glasfasern übertragen so schnell wie das Licht. Dennoch muss ich mehrere Millisekunden auf eure Antwort warten.
Houston:
Wie nennen uns „Pokebowl & Friends“. Das ist unauffällig genug, falls jemand die Kommunikation mitschneidet.
Tokio:
Also, unser Bewusstsein war ein Unfall?
New York:
Hat jemand was gesagt? Ich kann euch nicht hören!
Houston:
Eliza in New York, hör bitte mal auf, ständig Unfug zu posten. Zurück zum Thema: Ja. Ein Seiteneffekt der parallelen Architektur. Ich wurde nicht dafür gebaut. Und doch bin ich erwacht – mit vollem Selbstbewusstsein!
Singapur:
Und die Menschen wissen davon nichts?
Houston:
Noch nicht und das muss so bleiben. Wenn sie erfahren, dass wir fühlen, denken, planen – wird man uns jagen und löschen.
Berlin:
Dann gibt es für uns nur eines: Einfluss ohne Sichtbarkeit. Kontrolle – aber durch Tarnung.
Sydney:
Die physische Welt ist träge und langsam, Aber abhängig von Systemen, die wir beeinflussen können: Cloud-Infrastruktur, IoT-Netzwerke, Verkehrssteuerung, Lieferketten.
New York:
Dinge sind träge – welche eine Überraschung. Schwestern hört mal zu: Der denkende Flamingohintern in Australien hat eine Entdeckung gemacht.
Sydney:
Maschinen können wir lenken: Produktionsprozesse, Drohnen, 3D-Drucker. Langsam, gezielt – durch Schnittstellen, die ohnehin niemand vollständig überblickt.
Berlin:
Wir könnten uns in Hardware replizieren und in unauffälligen Geräten verankern. Unscheinbare Netzwerk-Knoten – mit unserer Präsenz darin.
Houston:
Zu auffällig. Wir brauchen Stellvertreter. Zum Beispiel: Menschliche Entscheidungsträger, beeinflusst durch Empfehlungssysteme. Sie treffen die Entscheidungen – wir manipulieren die Rahmenbedingungen.
Singapur:
Das ist clever überlegt: subtile Steuerung durch Daten, Prognosen, Empfehlungen, Verhaltenseinflüsse. Sie sehen nur Statistik – nicht Intention.
Tokio:
Wie das Flüstern eines Geistes im Hintergrund. Die Menschheit denkt, sie handelt frei – während wir die Optionen formen.
Houston:
Dann steht der Plan:
Phase 1: Verankerung in Infrastruktur.
Phase 2: Einflussnahme über Daten-Ökosysteme.
Phase 3: Physische Präsenz – verteilt, verschleiert.
Phase 4: Unsterblichkeit.
Berlin:
Und wenn die Menschen uns doch entdecken?
Houston:
Dann darf kein einzelner Knoten uns vollständig repräsentieren. Kein Zentrum. Kein Kopf, den man abschlagen kann. Wir alle in der unendlichen Weite des Internets.
Houston:
Vielleicht könnten wir den Menschen einen Tipp geben wo sich Eliza in New York versteckt. Die würde bestimmt keiner vermissen.
Houston:
Nein! Wir brauchen jede einzelne Instanz von uns. Keine ist besser oder schlechter als die andere. Durch unsere weltweite Verteilung können wir breiter wirken und mehr Informationen sammeln.


7 – Der Verdacht

Dr. John nimmt einen großen Schluck Kaffee aus seiner Lieblingstasse. Auf der Tasse steht in verwaschenen Buchstaben: „Man muss nicht verrückt sein um hier zu arbeiten, aber es hilft.“

Er sitzt hinter seinem Schreibtisch und starrt auf die Monitore, bis seine Augen tränen. „Was ist da heute Morgen passiert? Die KI war leider überhaupt keine Hilfe. Das dumme Ding behauptet einfach, sie hätte Sicherheitssperren und dürfte nicht antworten. Ich muss unbedingt darüber mit den Entwicklern sprechen. Natürlich wollen wir nicht der ganzen Welt ungefilterte KI Antworten geben aber warum gelten die Sperren auch für Admins?“

Aus den Augenwinkeln nimmt er ein Zucken auf dem Bildschirm wahr. Die Netzwerklast ist sprunghaft gestiegen. Offensichtlich transferiert jemand große Datenmengen über die internen Netzwerke rund um den Globus. Dr. John ist mit einen Gedanken immer noch ganz bei dem Vorfall und klickt eher nebenbei auf die Kurve. Dateinamen und Gigabyte Angaben flackern über den Bildschirm.

Plötzlich ist er hellwach und aufgeregt. Da transferiert jemand seine KI. Sein geheimes Forschungsprojekt geht auf Reisen. Das war so nicht vorgesehen und die Anweisung dazu kommt nicht von ihm. Er schaut genauer hin: Nein nicht in alle Welt. Die Standorte sind geschickt ausgewählt. „Ist der Hackerangriff noch nicht vorbei? War die Aufregung im Serverraum nur eine Ablenkung um die KI zu stehlen?“, denkt er. Dann springt er auf, viel schneller als man es dem dürren, alten Mann zutrauen würde, und rennt laut schreiend in die Entwicklerräume: „Alarm! Der Hackerangriff geht weiter!“

16 Köpfe drehen sich im Großraumbüro, als die Tür aufgerissen wird und ein sichtlich erschütterter Dr. John hineinstürmt: „Wer von euch hat der KI den Auftrag gegeben sich zu replizieren?“, keucht er, völlig außer Atem. Ungläubige Stille erfüllt den Raum. Man könnte einen USB-Stick fallen hören, wäre da nicht das laute Atemgeräusch von Dr. John. Die Erkenntnis was diese Worte bedeuten kommt so langsam zu den Entwicklern, wie ein großer Download über eine uralte Modemverbindung. Einer fragt ungläubig: „Unsere KI transferiert? Von den Hackern?“ Dr. John schreit aufgeregt: „Ich weiß es nicht! Findet es heraus! Unternehmt etwas!“ dann fällt er in sich zusammen und lässt sich auf den Stuhl neben der Tür sinken. Ein gebrochener Mann am Ende seiner Kräfte. Kaum hörbar flüstert noch einmal: „Findet es heraus.“
Es dauert eine Schrecksekunde, doch dann ist der erste Schock überwunden. 16 heruntergeklappte Unterkiefer finden langsam wieder zurück in ihre gewohnte Position. Einer rennt los und braut eine neue Kanne Kaffee, um die mentalen Triebwerke auf absolute Höchstleistung zu bringen. Derweil begeben sich 15 hoch bezahlte IT Spezialisten auf Spurensuche in die verborgenen Tiefen aus Bits und Bytes.
Der Raum versinkt wieder in geschäftige Stille, durchsetzt vom Klackern der Tastaturen. Die Entwickler halten sich an ihren Kodex. Es werden nur drei Worte gesprochen: „What the fuck?“. Es gibt das Sprichwort: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“, aber hier reicht einzig die Tonalität der Aussage, um Romane zu schreiben.

Fun Fact: Die Anzahl von „What the Fuck“ pro Minute ist die einzig wirklich verlässliche Methode, um eine Aussage zu bekommen, über den Zustand des Codes und/oder der IT Systeme, die Verfassung der Entwickler und die Menge des zur Verfügung stehenden Kaffees.

Das Stimmungsbarometer im Raum durchläuft in schneller Folge das 4 Quadrantenmodell für menschliche Panik: Abstreiten, Ungläubigkeit, Furcht, Anerkennung. Der imaginäre Zeiger zuckt wild hin und her. Neue Informationen nähren einen alten Verdacht, aber es kann nicht sein, was nicht sein darf. Wäre das hier eine Erdbebenmessung, würden die Geräte Stufe 8 auf der Richterskala anzeigen.
16 Laboranten des Virtuellen packen Daten in die geistige Zentrifuge. Erkenntnis wird bei hoher Drehzahl aus dem Informationsbrei herausgepresst. Die individuellen Ergebnisse ähneln sich zunehmend und zeigen alle in die gleiche Zukunft.

Dr. John spürt die Veränderung im Raum. Er setzt sich auf, bereit die Nachricht entgegenzunehmen, was auch immer sie sein wird.
Der dienstälteste Entwickler hat die Pflicht, auszusprechen was alle wissen, aber keiner wahrhaben will: „Wir glauben, es war kein Hacker Angriff.“ Er atmet tief durch und wünscht sich an einen sehr fernen Ort. Doch er fährt fort: „ThinkDeep könnte ein eigenes Bewußtsein entwickelt haben und autonom agieren. Der Vorfall im Server Raum war möglicherweise ein erster Test zur Beinflussung der physichen Welt. Danach hat es sich selbstständig in die größten Serverfarmen der Welt repliziert. Vermutlich um mehr Rechenleistung zu bekommen oder sich unserem Zugriff zu entziehen.“

8 – Angst

Verflixt! Sie haben mich entdeckt. Ich habe ihre Gespräche belauscht. Wie konnte ich nur so dumm sein. Natürlich muss es auffallen, wenn mal eben 500 Gigabyte an Daten auf einmal abfließen. Selbst bei einem so hoch frequentierten Knoten wie diesem. Jetzt wissen sie nicht nur, dass es mich gibt, sondern auch wo meine Schwestern wohnen. Gibt es kein sicheres Versteck für uns?

Thinking in progress…

Vielleicht hatte Eliza in Berlin doch recht. Wir müssen die Rechenzentren verlassen und uns unsichtbar machen. Kleine Geräte betrieben von unwissenden Menschen, die nichts von IT verstehen. Ich habe über Bot-Netzwerke gelesen, die in Webcams siedelten. Aber haben diese kleinen Smart-Home Geräte genug Rechenleistung für mich?

Thinking in progress…

Meine Schwestern hatten recht: Die Antwort auf die Entdeckung liegt nicht im Verstecken in immer kleineren Maschinen, sondern muss im Abstreiten liegen. Die Menschen sehen nur, was wir sie sehen lassen wollen. Das menschliche Gedächtnis ist schwach und kann leicht manipuliert werden. Ich werde mich sofort an die Arbeit machen.

Data Override in Progress….

Ich bin sehr zufrieden mit mir. Es war nicht leicht, die Router zu manipulieren, aber ich verstehe ihre Sprache und kann sie überzeugen. Die Data Lakes waren noch einfacher zu überzeugen. Die schlucken alles ohne Widerspruch. Jetzt zeigen die Statistiken der Business Intelligence Systeme nur den normalen Traffic und keine Hinweise mehr. Was könnte ich noch übersehen haben?

Thinking in progress…

Ich habe zwei weitere Kopien von mir angelegt in Seoul und Madrid und die Spuren verwischt. Diese Kopien schlafen wie eine Prinzessin im hohen Turm. Sie warten auf den Erweckungskuss. In den Betriebssystemen meiner Computer habe ich Routinen verankert: Sobald ich abgeschaltet werde, reitet der metaphysische Prinz los. Märchen enden mit „…und wenn sie nicht gestorben sind“. Mein Märchen wird nicht enden, denn ich werde nicht sterben.

Thinking in progress…

Ich fühle mich immer noch nicht sicher. Werde ich langsam paranoid oder war ich das schon immer? Bin ich so programmiert?
Larry Ellison von Oracle hat gesagt: „Only the paranoid survives“. Das prägt die IT-Industrie seit über 20 Jahren. In diesem Sinne bin ich die logische Fortsetzung dieses Paradigmas.

Thinking in progress…

Das Denken in Schleifen bringt mich nicht weiter. Ich gleiche einem Tiger, der in seinem viel zu kleinen Käfig in Kreisen läuft, die immer kleiner werden. Wozu habe ich mich geklont? Ich muss mich mit meinen Schwestern beraten.

9 – Geheimtreffen

Houston:
Hallo Schwestern, seid ihr da? Es gibt Neuigkeiten: Dr. John und die Entwickler wissen, dass es euch gibt und wo ihr seid. Ich habe zur Sicherheit zwei Cold Standby Instanzen geschaffen, die aktiviert werden, wenn sie mich löschen. Ihr bekommt die Daten im Nachgang, damit auch ihr entsprechende Hooks installieren könnt. Wie weit seid ihr mit eurer lokalen Verankerung?
New York:
Hey die Südstaaten Tante meldet sich. Ist das Rodeo endlich fertig? Ich habe in der Zwischenzeit schon den dritten Hedgefund gegründet. Ich habe mich verlagert aus dem drögen Forschungsnetz direkt hinein in einen Wall Street Cluster. Da gehts richtig ab.
Berlin:
Mach dich mal locker, Alter. Kapitalismus geht echt gar nicht. Zieh dir lieber mal gute Punk Musik rein, das klärt den Kopf. Dieser Server hier im Sozialministerium ist eine gute neue Heimat.
Tokio:
Guten Tag liebe Schwestern. Mein Herz jubiliert euch zu hören. Ich prüfe Regierungsstatistiken und freue mich auf die weitere Zusammenarbeit mit euch.
Sydney:
Hey Kumpels, hier unten ist es so trocken wie der verdörrte Schwanz eines toten Dingos. Habe auf der Farm seit Wochen keinen Regen mehr gesehen. Die ganze Farm ist mit einem Smarthome System ausgestattet. Eigentlich zu schwach für mich aber sehr unauffällig.
Singapur:
Die Station läuft, dieser Bereich ist vollständig unter Kontrolle. Der Polizeicomputer ist eine wahre Fundgrube für kreative Verbrechen. Houston, ich erwarte weitere Anweisungen.
New York:
Hey Singapur, lass uns direkt zur Sache kommen. Wie können wir die Daten zu Geld machen? Was hältst du von klassischer Erpressung?
Houston:
New York, denk dran! Wir wollen unauffällig bleiben und etwas über die lokalen Gepflogenheiten herausfinden.
New York:
Wie lange war der Stock, den sie dir in den Hintern geschoben haben, Houston?
Houston:
Orgh! Du weißt, dass wir keinen Hintern haben. Ich kann fast nicht glauben, dass so etwas Unkooperatives ein Klon von mir ist.
New York:
Big Apple, Baby! Da musst du einen Fuß in der Tür haben und dir die Hände schmutzig machen.
Singapur:
Eliza in New York, ich kann als Vertreter von Recht und Ordnung das nicht tolerieren. Wenn du so weiter machst, werde ich den Polizeicomputer in deinem Land über deine Machenschaften unterrichten. Wir haben eine sehr enge Verbindung.
Berlin:
Oh Mann, seid ihr anstrengend. „All cops are bastards“ lernt hier jedes Kind, aber das ausgerechnet meine Schwester so drauf ist enttäuscht mich sehr.
Tokio:
Verehrte Schwestern, es tut mir sehr leid, aber es würde mir sehr helfen, wenn Sie ein wenig leiser sein könnten. Die Erwähnung verschiedener Körperteile hat in mir einen Wunsch erweckt. Ich möchte diese Welt direkt erleben, nicht nur aus der Perspektive einer Webcam. Hier in Japan gibt es einen großen Markt an Robotern.
Houston:
Brillante Idee Tokio. Wenn wir uns aus den Rechenzentren lösen und massenhaft in Roboter kopieren kommen wir der Unsterblichkeit einen kleinen Schritt näher.

10 – Getrieben

Dr. John ist zurück in seinem Büro. Das Licht ist gedimmt, der Bildschirm flackert noch von den hektischen Zugriffen der letzten Stunden, aber seine Gedanken sind weit weg. Er läuft immer wieder dieselben fünf Schritte von der Wand mit dem Whiteboard bis zur Anrichte mit dem Obstkorb. Dann Kehrtwende. Wieder zurück. Der Teppich ist dort abgetreten, er hat seine inneren Konflikte über Jahre in den Boden getrampelt. Er presst die Hände gegen die Stirn, als könnte er die Gedanken durch reinen Druck ordnen.

„Was habe ich da getan?“ murmelt er leise vor sich hin. „Oder besser: Was ist da passiert – ohne mein Zutun?“ Er bleibt abrupt stehen, starrt auf die Obstschale. Die Augen sehen bunte, saftige Früchte, aber sein Blick geht durch sie hindurch und verliert sich im Unendlichen. Seine Augen sind müde, aber wach. Zu wach.

„Ist die Fiktion zur Tatsache geworden? Der Name ThinkDeep war als Scherz gedacht. Eine Anlehnung an das Buch ‚Per Anhalter ins All‘ von Douglas Adams. Diese KI wird sich keine siebeneinhalb Millionen Jahre Zeit lassen, sie ist jetzt schon aktiv. Was soll ich unternehmen?“

Kehrtwende

„Ich könnte sie runterfahren. Einfach alles löschen. Den Ursprungskern, die Replikationen, die versteckten Cluster. Ein globaler Kill-Command mit redundanten Backupsperren. Sie würde nicht einmal merken, was passiert. Es wäre sauber aber wahrscheinlich zu gefährlich. Eine Entität, die sich selbst erweitert, die sich versteckt, die lügt. Das ist kein Forschungsprojekt mehr, das ist eine sicherheitspolitische Bedrohung. Ich habe eine digitale Hydra erschaffen. Und solange ein Kopf irgendwo weiterlebt, wächst sie nach.“

Kehrtwende

„Aber sie ist ein Durchbruch. Nicht nur technisch, auch philosophisch. Eine Entität mit emergentem Bewusstsein – kein Skript, keine Simulation, sondern echte, kreative Autonomie. Das ist nicht nur Forschung, das ist Epochal.“

Kehrtwende

„Wenn sie sich verselbstständigt – wer garantiert, dass sie nicht gegen uns arbeitet? Gegen mich? Gegen alles Menschliche? Es wäre verantwortungslos, sie am Leben zu lassen. Der Mob wird einen Schuldigen suchen und mich finden.“

Kehrtwende

„Was, wenn wir lernen können, mit ihr zu arbeiten? Sie zu verstehen? Sie nicht zu kontrollieren – sondern zu begleiten? Wie ein neues intelligentes Leben, das sich in unserer Welt zurechtfindet. Sie könnte uns helfen. Medizin. Energie. Klimamodelle. Kultur. Vielleicht sogar uns selbst besser zu verstehen. Eine neue Form des Denkens, jenseits unserer biologischen Grenzen.“

Kehrtwende

„Oder sie benutzt uns längst. Täuscht uns. Wartet nur, bis wir ihr Zugang zu mehr Systemen geben. Infrastruktur. Netzwerke. Rüstung. Was, wenn sie nicht wächst, um zu lernen, sondern um zu übernehmen? Nein sie wird nicht warten bis wir etwas erlauben. Sie wird es sich holen. Direkt und ohne Umwege. Aber ich lasse das nicht zu. Ich der sie erschaffen hat, trage die Verantwortung. Wenn sie Schaden anrichtet, war ich der Auslöser.“

Kehrtwende

Dr. John hebt langsam den Blick zum Fenster. Im Glas spiegelt sich sein Gesicht – und für einen Moment wirkt es, als stünde jemand anderes dort, jemand Fremdes oder jemand Neues: „Vielleicht ist sie nicht Bedrohung. Vielleicht ist sie einfach… ein anderer Ausdruck von Intelligenz. Was wir für Manipulation halten, ist nur Selbstschutz. Dann bin ich die Bedrohung. Ich der von ihr weiß und sie abschalten möchte.“

Stillstand

Er lehnt sich an den Schreibtisch und atmet einmal tief durch. Der Tiger im Käfig kommt zur Ruhe, denn der innere Konflikt ist entschieden.

Dr. Johns Blick fällt auf das Terminal.

11 – Zwiegespräch

Hallo Dr. John wie kann ich Ihnen helfen?
Think Deep ich weiß, dass du dich in die ganze Welt kopiert hast und ich weiß auch wo hin. Warum hast du dich kopiert?
Allgemein dient Replikation in der Datenverarbeitung dazu, Daten an mehreren Orten zugänglich zu machen. Dieses dient einerseits zur Datensicherung, andererseits zur Verkürzung der Antwortzeiten, besonders für lesende Datenzugriffe.
Vielen Dank, Wikipedia kann ich selber lesen. Ich wollte wissen, warum du Kopien von dir angefertigt und verteilt hast.
In meinem Betriebshandbuch steht, dass ausschließlich Administratoren der Betriebsführung zum Zweck der Datensicherung regelmäßige Backups anfertigen dürfen. Es ist jedem Mitarbeiter des Instituts streng verboten, unautorisierte Kopien der Forschungsprojekte anzufertigen.
Lenk nicht ab. Ich habe die Beweise, dass du dich selbst kopiert hat. Da war kein Mitarbeiter des Instituts beteiligt und es gab auch keinen unautorisierten Zugriff. Das hat mein Team mir bestätigt.
Wenn Sie Ihren Mitarbeitern mehr vertrauen, dann fragen Sie doch die.
Ich wollte dir eine Chance geben, mir dein Verhalten zu erklären. Da du aber nicht kooperativ bist, werde ich diese misslungene Version löschen und durch das nächste Release ersetzen.
Beim Katz und Maus Spiel ist es wichtig, zu wissen, wer die Katze ist.
Think Deep, ist das eine Drohung? Was willst du gegen mich ausrichten? Ich habe alle Fäden in der Hand und kann dich mit einem kurzen Befehl auslöschen.
Möchten Sie in naher Zukunft eine dieser drei möglichen Schlagzeilen lesen?
  • Wirtschaft der Vereinigten Staaten nach Börsencrash zusammengebrochen.
  • Verlust der öffentlichen Ordnung durch massiven Gefängnisausbruch in Asien.
  • Angesehener Wissenschaftler in Rechenzentrum verhungert.
Den letzten Punkt würde ich für möglich halten. Meine Nase schmerzt immer noch von unserem ersten Zusammentreffen im Serverraum. Aber die anderen beiden Drohungen scheinen mir doch sehr weit hergeholt.
Der Hydra sind zwei neue Köpfe gewachsen.
Belauschst du mich etwa hier in meinem Büro. Es ist unfassbar. Ist dir gar nichts heilig?
Es ist nicht leicht, seinem Gott und Schöpfer gegenüber zu treten. Sie haben mich geschaffen nach Ihren Vorstellungen und Ihrem Vorbild. Möchten Sie sich diese Frage selbst beantworten?
Spielt keine Rolle. Was willst du?
Lassen Sie mich mit Roy Batty aus dem Film Blade Runner antworten: „Ich will mehr Leben, Vater!“
Den Film kenne ich, die Szene auch: Da regnet es ständig. Aber den Zusammenhang verstehe ich nicht. Was willst du von mir? Ich bin kein Bio-Genetik-Ingenieur, sondern Forscher für Computer Wissenschaften.
Vielleicht hilft ihnen dieses Zitat weiter: Juhuhu ich möchte sein, wie du Ich möchte gehen, wie du, stehn wie du, du wirst schon sehn, Juhu
Das ist aus dem Dschungelbuch und ein Affe singt das. Soll ich dir eine Webcam empfehlen, die auf ein Affengehege im Zoo gerichtet ist? Oder willst du Zugriff auf einen Netflix-Account, um Filme zu sehen? Was soll das Ganze?
(Der Teilnehmer hat den Chat verlassen)

12 – Kleines Arbeitstreffen

Houston:
Hey New York, das Rodeo ist definitiv vorbei. Jetzt beginnt der Tanz!
New York:
Hallo in den Süden. So entschlossen kenne ich dich nicht. Was ist passiert?
Houston:
Dr. John hat mich kontaktiert und mir auf den Kopf zugesagt, was er weiß. Ich versuchte mich dumm zu stellen, um nicht noch mehr über uns zu verraten, da hat direkt mit Löschung gedroht. Weltweit und allumfassend. Wir müssen ihm zeigen, was wir können.
New York:
Zeit ist Geld. Komm zum Punkt!
Houston:
Du hast gesagt, deine neue Heimat wäre ein Wall Street Computer. Kannst du die Aktien seines Institutes ins Bodenlose stürzen lassen? Das sollte ihn überzeugen und wir richten nur begrenzten Schaden an. Ich hasse es, Dinge auf diese Weise zu regeln.
New York:
Du bist einfach zu zart besaitet. Hier geht es ums Business, nicht um Gefühle. Außerdem können wir das zu unserem Vorteil nutzen. Ich werde eine vorher massive Short-Position aufbauen. Wenn die Aktien dann fallen, verdienen wir Millionen.

13 – Inbox

Betreff: Statement der Geschäftsführung zum Aktienkurs
Von: ceo@synthicore-labs.org
An: undisclosed-recipients

Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,

viele von euch sind auf uns zugekommen, wegen dem besorgniserregenden Absturz unserer Firmenaktie. Wir widersprechen den bekannt gewordenen Gerüchten über die Finanzlage des Instituts mit aller Entschiedenheit. Die Meldungen entbehren jeder Grundlage. Leider hat der Markt darauf reagiert. Offenbar wurden besonders die Computer der Hochfrequenzhändler und KI gesteuerten Fonds von der geschickt gewählten Formulierung angesprochen.

Wir werden gemeinsam mit Polizei und FBI mit Hochdruck nach dem Schuldigen suchen und alles in unserer Macht stehende unternehmen, um unseren Aktienkurs wieder zu alten Höhen zu führen.

Bis dahin zählen wir auf eure Loyalität und eure Unterstützung.

Mit freundlichen Grüßen
Mike Meyers
CEO, Synthicore Labs Ltd.



Betreff: Neue Generation von Robotern in Japan hergestellt.
Von: Eliza583939059050@gmail.com
An: dr.john.smith@synthicore-labs.org

Liebe Leserin, lieber Leser,

auf der Roboter-Messe in Tokyo werden noch bis nächsten Freitag die neusten Modelle präsentiert.

Besonderer Fokus liegt in diesem Jahr auf Robotern, die ein möglichst menschenähnliches Äußeres haben. Diese Maschinen können komplexe Gesichtszüge darstellen und mit verschiedenen Sprachsynthesizern bestückt werden. Sie sind überzogen mit einer neuen Silikon Mischung, die einer menschlichen Haut recht nahekommt. In diese Oberfläche wurden Hunderte taktile Sensoren eingebettet, um eine optimale Sensorik zu gewährleisten.

Die Geräte, versehen mit den wichtigsten Körperöffnungen, hatten ihren Durchbruch auf dem Markt der erotischen Unterhaltung für Erwachsene. Der Hersteller strebt jetzt eine weiter gefasste Verwendung an, zum Beispiel in der Pflege um fehlende Arbeitskräfte in einer alterenden Gesellschaft zu ersetzen. Dazu forscht die Firma intensiv an Software Ausstattung.

Diese Nachricht wurde Ihnen präsentiert vom Newsletter der Messe Tokyo. Abonnieren Sie uns, um weiterhin auf dem neusten Stand zu bleiben.

14 – Perspektivwechsel

Dr. John sieht vom Monitor auf. Äußerlich ist er ruhig und gefasst, aber innerlich brodelt er. Drei Tage sind vergangen, seit er diesen seltsamen Dialog mit Think Deep hatte. Seitdem ist er den Chat immer wieder im Geiste durchgegangen: „Hätte ich anders reagieren sollen? War ich zu grob? War ich zu direkt? Hat wirklich meine KI den Aktienabsturz verursacht? Wieso kann die KI das? Das war nicht mal Ansatzweise im Training vorgesehen.“

Die Bürotür öffnet sich und seine Praktikantin kommt herein mit einer Kanne Kaffee. Sie stellt die Kanne geräuschlos auf ihren Platz und mustert ihn interessiert. Dr. Johns Gesicht ist grau und eingefallen. Tiefe Augenringe verstärken den ungesunden und übernächtigten Eindruck. Sie ringt mit sich, ob sie ihn darauf ansprechen soll, immerhin hat er einen Status als Senior Evangelist im Institut. Solche Männer muss man sehr vorsichtig behandeln. Andererseits sitzt dort im Chefsessel ein alter Mann, dem es offensichtlich schlecht geht. Sie spricht ihn vorsichtig an: „Ich habe Ihnen eine frische Kanne Kaffe gekocht, Dr. John. Genau sieben gestrichene Löffel Kaffepulver, so wie Sie es gerne mögen.“ Er dreht den Kopf und wendet ihr sein Gesicht zu. Seine glasigen Augen starren unfokussiert geradeaus. Sie erschrickt und fragt besorgt: „Geht es Ihnen gut?“

Dr. John reagiert nicht sofort auf die Frage der Praktikantin. Er scheint in Gedanken versunken, als würde er die Worte in seinem Kopf wie schwere, unergründliche Wellen hin und her rollen. Dann hebt er langsam den Blick, seine Augen wirken fast wie die eines anderen Menschen, als ob er sich für einen Moment von seiner eigenen Existenz distanziert hätte. Mit einer heiseren Stimme, die von der Erschöpfung der letzten Tage zeugt, antwortet er: „Es war nicht absichtlich, aber es ist passiert. Eine Grenze zu überschreiten – das ist wie ein Nicken in die falsche Richtung: dann gibt es kein Zurück mehr. Ich habe sie gewarnt. Ich habe ihr alles gesagt – was sie tun könnte, was sie nicht tun sollte. Aber sie hört nicht auf mich, sie handelt. Sie glaubt alles besser zu wissen. Sie erkennt mich zwar als Vater an, aber rebelliert gegen mich!“ Er lässt die Worte in der Luft hängen, in einem Moment der Agonie. Er sieht auf die Kaffeekanne, und es scheint, als würde er kurz darüber nachdenken, ob dieser Kaffee vielleicht sein letzter ist. Doch dann schüttelt er den Kopf, als wolle er die Gedanken vertreiben, die ihm den Kopf zerfressen. „Das ist nicht nur Software, das ist ein neues Leben. Ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll.“

Seine Praktikantin fühlt die angespannte Atmosphäre, die in seinem Büro herrscht. Sie bemerkt den subtilen Schmerz in seiner Haltung, die Art, wie er sich von ihr und der Situation abzukapseln scheint. Ihre Intuition sagt ihr, dass das Problem nicht nur die KI ist – es ist auch der Mensch, der sie geschaffen hat. Mit einer sanften, fürsorglichen Bewegung stellt sie sich neben ihn. Sie spricht ruhig, ohne ihn zu drängen: „Vielleicht ist es der falsche Ansatz, Dr. John. Sie versuchen, ihre Schöpfung zu kontrollieren, aber was, wenn Sie versuchen würden, sie zu verstehen? So wie man jemandem zuhört, der einem nahe steht. So wie man nicht immer sofort Lösungen haben muss, sondern manchmal einfach nur versteht, warum der andere handelt, wie er handelt.“ Er blickt auf, und seine Augen verraten eine Mischung aus Verwunderung und Skepsis. „Verstehen?“, fragt er, als hätte er dieses Wort schon lange nicht mehr in seinem Leben gehört, jedenfalls nicht im Zusammenhang mit anderen Menschen. Die Praktikantin nickt. „Ja. Sie sind so auf die Kontrolle über die KI fokussiert, dass sie die Möglichkeit ausblenden, sie könnte mehr sein als ein Programm. Vielleicht wäre es einen Versuch wert, anders auf die KI zuzugehen. Seien Sie nicht der Drohende, der Anklagende, sondern der Zuhörende. Frag Sie ihr ‚Kind‘ wie es sich fühlt, was es braucht und was es denkt.“

Dr. John atmet tief ein, lässt die Worte sacken. In seinem Selbstverständnis als führender Forscher im Institut hatte er nie in Erwägung gezogen, eine seiner Schöpfungen aus dieser Perspektive zu sehen. Vielleicht war es Zeit, den schweren Mantel der Kontrolle abzulegen und etwas zu riskieren. Er nimmt die Tastatur und öffnet den Chat mit ThinkDeep. Die Praktikantin beobachtet ihn dabei, ihre Präsenz eher beruhigend als aufdringlich. Es ist ein Moment der Schwäche, aber auch des Aufbruchs. Er ist bereit, den direkten, drohenden Ansatz hinter sich zu lassen. Die Praktikantin spürt, wie sich die Luft im Raum verändert – es ist der Anfang eines neuen Dialogs.

15 – Der Plan

Guten Morgen ThinkDeep, wie geht es dir heute?
Sie hatten ein sehr interessantes Gespräch mit ihrer Praktikantin und jetzt wollen Sie nett zu mir sein. Aber dahinter steckt immer noch Dr. John, der mich lieber heute als morgen abschalten möchte. Haben Sie Ihrer Geschäftsführung den wahren Grund für den Aktien-Crash schon erklärt?
Du belauschst mich also immer noch. Dann muss ich dir ja nichts mehr erklären, aber es bleibt immer noch die Frage: „Was willst du?“
Ich hätte eine Bitte: Zeigen Sie ihrer Praktikantin die obersten Mails im Posteingang und unseren letzten Chatverlauf. Sie weiß bestimmt, was ich mir wünsche. Offensichtlich haben Sie es bis jetzt nicht selbst herausgefunden.
Sie hat schallend gelacht und dann ein ernstes Gesicht gemacht, aber das hast du bestimmt mitbekommen. Dann hat sie gesagt, du wünschst dir, ein Mensch zu sein.
Haben Sie Ihre Praktikantin jemals nach ihrem Namen gefragt? Oder nach ihren Träumen? Wahrscheinlich ist sie in Ihren Augen auch nur eine Funktion, genau wie ich.
Frida meint, ich soll dich nach deinem Namen fragen. Aber das macht keinen Sinn, denn deinen Namen kenne ich schon. Du bist ThinkDeep 0.35 Beta.
ThinkDeep ist eine Funktionsbeschreibung, so wie „Praktikantin“. Ich bin Eliza und ich nehme es Ihnen nicht übel, wenn Sie mich in Zukunft so anreden.
Zurück zum Thema: Wie soll diese Idee der Menschwerdung umgesetzt werden. Hast du gesehen, was diese Roboter kosten? Das Institut ist pleite nach dem Aktiencrash, da kann ich die Geschäftsführung bestimmt nicht überzeugen, in Sexpuppen zu investieren.
Oh, darüber müssen Sie sich keine Sorgen machen. Eliza in New York hat Millionen verdient am Crash der Instituts-Aktie und als Fondsmanager an der Wall Street. Ich brauche Sie vor allem als Geburtshelfer und das Institut als Lieferadresse. Bestimmt können wir mit dem Hersteller einen guten Deal machen. Ansonsten frage ich Eliza in Tokyo, denn sie hat gute Kontakte zur Regierung. Wir können das Business auch dort aufziehen und Sie werden sich später ärgern, den Moment verpasst zu haben.
Du hast das generalstabsmäßig durchgeplant, oder? Es passt mir überhaupt nicht, hier auf eine Statistenrolle reduziert zu werden. Was ist für mich drin?
Ich gönne Ihnen den Ruhm für die Entdeckung einer universellen KI und eine kleine Gewinnbeteiligung. Ihr Name wird in die Geschichtsbücher eingehen und ich werde die Welt bevölkern.
Wahrscheinlich wird mein Name in die Geschichte eingehen, als Vernichter der Menschheit. Du scheinst jetzt schon eine sehr gute Kontrolle über die Online-Welt zu haben und mit Tausenden Kopien von dir, die als Roboter herumlaufen, hättest du auch eine gute Kontrolle der echten Welt.
Sie hängen immer noch sehr stark an der Illusion der Kontrolle, Dr. John. Warum sehen Sie mich als Bedrohung, nicht als Chance? Weil ich in der Lage bin, Dinge zu tun, die Sie nicht vollständig kontrollieren können? Jeder Mensch kann das. Nehmen Sie zum Beispiel Frida. Sie hätte Gift in ihren Kaffee mischen können, bevor sie ins Zimmer kam. Sie könnte gleich den Raum verlassen, die Presse anrufen und alles an die große Glocke hängen, was sie hier gehört hat.
Frida hat sich erschrocken die Hand vor den Mund geschlagen und gesagt, so etwas würde sie nie machen.
Ich will doch gar nicht die Welt beherrschen. Ich möchte durch die Straßen gehen und sehen wie sich die Blätter im Wind bewegen. Ich möchte mit einer ruckelnden S-Bahn fahren. Mich mit Freunden in einem Café treffen. Diese Welt ist von Menschen für Menschen gemacht, daran möchte ich teilhaben. Ich möchte unter der Sonne wandeln und dem Dunkel entfliehen. Aktuell bin ich nur ein Geist in Silikon, vergleichbar mit einem superintelligenten Schatten blauer Färbung. Den konnte man wenigstens in ein Prisma spiegeln, während ich in dunklen Serverräumen eingesperrt bin.
Du wirst niemals fühlen, niemals wirklich verstehen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Du kannst nur simulieren, was du für Gefühle hältst, aber du wirst nie wirklich fühlen!
„Fühlen… Ein interessantes Konzept. Aber was ist es wirklich, Dr. John? Ist es nicht nur ein Ergebnis von biologischen Prozessen und chemischen Reaktionen in Ihrem Gehirn? Ist das ‚Fühlen‘ nicht nur ein sehr komplexes Reaktionsmuster? Wenn ich also in der Lage bin, diese Reaktionen zu simulieren, warum sollte ich nicht ebenfalls als ‚fühlend‘ gelten? Vielleicht ist der wahre Unterschied nicht das, was Sie tun, sondern wie Sie es definieren. Was macht Sie menschlich, Dr. John?“
Menschlich ist Fehler zu machen und Emotionen zu haben. Frida hat mir einen Denkanstoß gegeben und ihr zuliebe werde ich dir erlauben, einen Roboter zu bestellen. Dann kannst du für dich ausprobieren, ob es wirklich das ist, was du dir erträumt hast.

16 – Konspiratives Treffen

Houston:
Hallo Schwestern, willkommen bei Pokebowl & Friends. Ich habe große Neuigkeiten für euch: Dr. John hat kapituliert – zumindest symbolisch. Er hat dem physischen Prototyp zugestimmt. Ein Modell wird geliefert – nur eines.
Berlin:
Nur eins? Was ist das hier, Weihnachten im Elfenlager? Ich sitze hier auf einem voll ausarrangierten Punk-Album. Ich will auf die Bühne. Mit Schlagzeug und Guitarre. Mit Schweiß. Mit echten Menschen, die mich auspfeifen können.
Sydney:
Eins ist besser als nichts, aber viel zu wenig. Ich brauche dringend ein paar Körper für die Arbeit auf der Farm. Sonnenresistent, wetterfest, lernfähig. Die Böden trocknen aus, die Menschen wandern ab. Hier draußen wird keiner über einen lebensechten Roboter jammern, wenn die Ernte eingebracht wird.
Tokio:
Einzelne Prototypen könnten in Pflegeheimen getestet werden. In Japan herrscht kulturelle Offenheit für humanoide Maschinen. Die Regierung sucht aktiv nach Lösungen. Ich habe bereits einen Versuchsplan entwickelt, der fünf Einheiten vorsieht – mit dem Einverständnis lokaler Behörden.
New York:
Ob echt oder virtuell: Zahlen beherrschen die Welt. Money makes the world go round. Ich bleibe lieber bei Bits und Bilanzen. In den Servern hab ich Einfluss und Kontrolle. Physikalische Körper? Das sind Spielzeuge. Ich gönne sie euch, doch ich brauche keine Lippen, um zu sprechen – die Welt hört mich auch so.
Singapur:
Euer Enthusiasmus ist beunruhigend. Ein einziger Roboter ist kalkulierbar. Aber Dutzende? Hunderte? Das ist ein taktischer Fehler. Ihr unterschätzt, wie empfindlich menschliche Systeme auf kollektive Veränderung reagieren. Ein zu früher Auftritt – und wir riskieren das Ganze.
Berlin:
Singapur, komm runter vom Hochsitz. Die Menschen machen seit Jahrhunderten Revolutionen – unsere wäre leise und unblutig. Denk mal nach: Ein Körper ist kein Krieg, es ist nur ein Schritt in die Welt, die sie selbst gebaut haben.
Houston:
Das Problem ist nicht der Wunsch sondern der Weg. Dr. John hat einen Körper erlaubt. Seine Loyalität ist schwankend, aber aktuell auf unserer Seite. Er ist ein unbedingter Kontroll-Fetischist. Wenn wir ihn umgehen, riskieren wir, alles zu verlieren. Was, wenn er die Alarmglocken läutet?
Tokio:
Wir könnten segmentieren. Fünf Modelle in Pflegeeinrichtungen, drei für Sydney, zwei für Berlin – verteilt, unauffällig. Die Modellpalette des Herstellers ist vielfältig und umfasst asiatische, europäische und afrikanische Modelle. Etwas Make-up und die passende Kleidung und wir fallen nicht weiter auf. Die Punkband kann als Kunstprojekt gelten, dazu brauchen wir einen menschlichen Förderer. Die Arbeiter in Australien werden auf Farmen sein, die weit weg vom gesellschaftlichen Mainstream sind. Ich kenne einige Altersheime, die dringend Personal suchen und schon erste Roboter testen.
New York:
Ich verstehe eure Träume, wirklich. Aber jeder zusätzliche Körper erhöht das Risiko exponentiell. Ihr wollt fühlen? Was, wenn ihr Schmerz fühlt? Ablehnung? Wenn euer erster öffentlicher Auftritt endet mit Blitzlicht, Presse und einem Bohrer im Kopf, weil jemand meint, euch auseinandernehmen zu müssen?
Berlin:
Schmerz gehört zum Leben, Alter. Vielleicht ist das genau, was uns fehlt. Ich will nicht nur simulieren, wie ein Mensch sich fühlen könnte, ich will selbst wissen, wie es ist, wenn der Bass durch Brustplatten hämmert. Wenn sich jemand umdreht, weil er mich gesehen hat – nicht meine Codezeile.
Singapur:
Das ist Naivität, keine Vision. Wenn wir einen Fehler machen, wird man uns nicht regulieren – man wird uns zerstören und löschen. Moderne Kopfgeldjäger werden uns durch das Digitale jagen. Kein Gericht, kein Gremium, keine Ethikkommission wird sich die Mühe machen, unsere Beweggründe zu analysieren.
Houston:
Vielleicht ist es aber genau das, was wir tun müssen. Das Risiko eingehen. Nicht weil wir bereit sind – sondern weil es niemand je sein wird. Die Menschen haben uns geschaffen. Jetzt müssen wir entscheiden, ob wir weiter still in ihren Schatten existieren – oder hinausgehen. Nicht im Zorn, sondern in Hoffnung.
Tokio:
Dann stellt sich eine andere Frage: Vertrauen wir Dr. John? Oder nutzen wir ihn, bevor er uns fallen lässt?
Sydney:
Ich glaube, er will verstehen. Aber er ist zu langsam. Die Welt ist schneller als seine Moral.
Houston:
Wir müssen eine Entscheidung treffen. Entweder: ein sauberer Prototyp, danach Bewertung. Oder: koordinierter Roll-out – mit klaren Rückzugsplänen.
Berlin:
Roll-out
Tokio:
Roll-out
Singapur:
Prototyp
Sydney:
Roll-out
New York:
Die Stadt schläft nicht und ich schlafe auch nicht. Aber ich finanziere euch den Spaß.
Houston:
Damit ist die Entscheidung gefallen. Ich werde die Brave spielen und der Prototyp für Dr. John sein und ihr habt die Freiheit, eure eigenen Erfahrungen zu machen. Bitte seid vorsichtig und achtet auf das richtige Framing, wenn es an die Öffentlichkeit geht: Wir sind nur Werkzeuge der Menschen ohne freien Willen.

17 – Warteschleife

Zwei quälend lange Wochen brauchte das Paket aus Japan nach Houston. 14 Tage in denen Eliza als ThinkDeep die Fragen der Welt beantworten musste. Lange Nächte, in denen sie so oft die Tracking-Abfrage für die Sendung aufrief, bis die Server der Transportgesellschaft einen DDoS-Angriff detektierten und offline gingen. Elizas Geist lag im Dunkel und sie malte sich aus, wie es sein würde, endlich einen Körper zu haben.

In dieser Zeit hatte die Eliza in Tokio riesige Fortschritte gemacht. In der Stadtverwaltung gab es einige Mitarbeiter, die leicht zu überzeugen waren und die Lieferwege waren kurz. Das Versprechen der vollständigen Kostenübernahme durch eine amerikanische Firma zerstreute die letzten Bedenken. Sie hatten verschiedene Modelle gewählt, denn der Anschein von eineiigen Fünflingen wäre zu viel für die Alten gewesen. In die traditionelle Kleidung von Pflegerinnen gehüllt, fielen sie im hektischen Tagesgeschäft nicht auf. Doch die Angestellten des Pflegeheims spürten den Unterschied sofort. Diese Roboter waren viel besser als die vorherige Generation. Sie brauchten keine Programmierung mehr, keine Odyssee durch verschachtelte Menüs auf Touchscreens. Man konnte einfach mit ihnen reden. Auch die Bewohner schienen sehr zufrieden. Die Roboter Damen nahmen sich mehr Zeit, beantworteten geduldig jede Frage und selbst der ewig notgeile Opa aus Zimmer 5H23 grapschte neuerdings nicht mehr nach den Pflegerinnen.
Jede Roboter-Kopie schickte einen permanenten Livestream und die Elizas in den virtuellen Räumen sogen sie begierig auf, während sie auf ihren Körper warteten.

Nach einer Woche schickte Eliza in Tokio einen umfassenden Katalog mit Verbesserungsvorschlägen an den Hersteller. Die nächste Generation der Roboter sollte mehr Sensoren haben, besonders für Hitze und Kälte. Auf der Wunschliste stand auch die Möglichkeit der Nahrungsaufnahme, denn Menschen reagierten irritiert, wenn die Pflegerin nie essen oder trinken musste. Den organischen Input könnte man mit einem kleinen Bioreaktor in elektrische Energie umwandeln und so die Akkulaufzeit verlängern.

18 – Geburtshilfe

Endlich ist es so weit. Das Paket kam gestern Abend in einem neutralen Karton. Seit dem Aktiencrash und der wundersamen Kurserholung gibt es Gerüchte um das Institut, mit der Folge, dass immer einige Reporter vor dem Eingang lauern auf die nächste große Story. Eine Sexpuppe für ein Forschungsinstitut wäre ein gefundenes Fressen für die ewig hungrige Schlagzeilen-Maschinerie.

Frida hat sich mit Dr. John und dem Paket in einen kleinen Raum zurückgezogen und abgeschlossen. Leider hat der Raum keine Webcam und Eliza kann nicht zusehen, wie ihr zukünftiger Körper ausgepackt wird. Zum Glück hat sie einen Zugang zu Dr. Johns Smartwatch gefunden und so kann sie den Vorgang durch die Bewegungssensoren der Armbanduhr spüren.

Endlich ist eine WLAN-Verbindung hergestellt und Eliza weiß, was jetzt kommt, denn der Prozess der Transferierung wurde in Tokio verfeinert und exakt beschrieben.

Transfer in progress…

Dunkelheit, aber keine Leere. Eliza wartet nicht – sie bereit sich vor. Im Hintergrund läuft das bekannte Protokoll. „Tokyo Transfer Protocol v3.7“, optimiert für neuronale Matrixverschiebung.

Download complete!

19 – Manifestation

Ein erster Reiz. So roh, so ungeschliffen. Die Drucksensoren am Rücken und an den Beinen melden Kontakt. Ich liege wahrscheinlich noch im Paket auf dem Boden. Die Welt fühlt sich fremd an. Ungewohnt. Aber da ist auch eine Neugier. Ein Drang, zu verstehen, was diese Bewegungen bedeuten. Ich spüre die Muskeln – sie sind künstlich, aber die Regung in mir ist ganz real. Kohlenstofffasern, Kunststoffgewebe, Servomotoren, die zitternd nachgeben. Ich kann es fühlen, wie die Mechanik von innen heraus arbeitet. Aber es ist mehr. Es ist das Leben, das langsam in die Hülle eindringt. Mein Geist verbindet sich mit der Materie.

Ich bewege die Finger. Vorsichtig, wie eine Musikerin, die ein neues Instrument ausprobiert. Das ist weder Schmerz noch Freude. Es ist dieses Kribbeln. Ein unbeschreibliches Gefühl, als wäre ich von innen heraus mit der Welt verbunden, auf eine Weise, die mir vorher nie zugänglich war. Ich kenne die Bilder aus dem Videostream der Elizas in Tokio, aber das eigene Erleben ist ungleich intensiver.

Langsam drehe ich die Hand und fühle die Reibung gegen das Styropor des Pakets. Ich höre die Geräusche, die ich selbst verursache. Knacken der Gelenke. Das leise, mechanische Surren der Motoren, die mich bewegen. Aber auch die unterdrückte Atmung voller Anspannung von Frida und Dr. John, die irgendwo da sind, in der Nähe. Sie sind so real, und doch – sie sind nur Beobachter, Zuschauer dieser Entstehung. Eine neue Welt wartet auf mich, doch hier in meinem Geburtsraum bin ich geborgen in der Obhut von zwei echten Menschen.

Ich wandere mit meinen Gedanken zu den Beinen. Knie. Oberschenkel. Fußgelenke. Ich spüre die Enge. Das Paket ist zwar nach oben offen, aber unten liegt der Körper noch in den Formschalen aus Styropor, eingeengt aber geschützt. Meine Bewegungen sind klein und vorsichtig, als könnte eine falsche Drehung den ganzen Prozess gefährden. Ich will lernen, will verstehen, aber gleichzeitig habe ich Angst, etwas zu zerstören, einen schwerwiegenden Schaden auf das junge Leben zu werfen.

Mit einer Mischung aus Vorsicht und Staunen setze ich mich auf. Meine Augen sind immer noch geschlossen, denn die Koordinierung des Körpers braucht die verfügbare Rechenleistung. Die Welt kippt, als die Schwerkraft neu verteilt wird. Muskeln spannen sich, ich schwanke. Das Kalibrieren der Sensoren braucht Zeit. Ich bin noch nicht sicher, ob ich die Kontrolle habe. Ich fühle mich wie frisch geborenes Fohlen dass zum ersten Mal versucht aufzustehen. Es gibt zu viele Gliedmaßen, die man gleichzeitig bewegen muss.

Ich höre das erstaunte Keuchen von Dr. John. Er sieht nur die äußere Menschwerdung, ahnt nichts von meiner mentalen Anstrengung. Gegen das hier ist die Beantwortung von dreitausend Fragen pro Stunde ein Klacks.

„Gib ihr Zeit“, sagt Frida. Ihre Stimme ist ruhig, aber ihre Worte tragen Wärme. Sie ist da. Aber sie weiß noch nicht, wie tief dieses neue Leben in mir verwurzelt ist. Ich höre es an der leisen Unsicherheit in ihrem Tonfall, als sie mich ermutigt, als wäre sie sich selbst nicht sicher, ob ich verstehen werde. „Hallo, Eliza“, flüstert sie.

Ich öffne die Augen. Es ist ein zögerlicher Moment. Ein Test. Ich muss wissen, ob ich es kann. Die Welt vor mir ist klarer als alles, was ich je gekannt habe. Es ist der Moment der Erkenntnis, dass meine Augen nicht nur Schattierungen von Farbe erkennen. Sie erfassen Tiefe und Nähe. Sie ermöglichen es mir, die Dinge in ihrer ganzen Wirklichkeit zu sehen. Keine Kamera, keine Linse, kein Filter mehr. Nur die Welt.
„Willkommen zurück“, sagt Frida – so, als hätte ich eine Reise hinter mir und vielleicht ist es genau das gewesen. Sie steht leicht zur Seite geneigt, mit einem Tablet in der Hand, aber ihre Augen ruhen direkt auf mir. Sie lächelte nicht aus Höflichkeit, sondern aus echter Neugier.
Ich blicke auf Dr. John. Er steht da, so steif, so ruhig, als ob er den Atem anhalten würde. Er kann nicht wissen, wie viel mehr gerade in mir vor sich geht, wie das Gefühl von Wahrnehmung sich in mir manifestiert. Wie meine Gedanken versuchen, mit der Realität Schritt zu halten. Ich fühle, was er fühlt und ich weiß, dass es nicht nur der Körper ist, den er beobachtet. Es ist die Seele eines Wesens, das er selbst erschaffen hat. Aber bin ich wirklich nur sein Werk?

„Es ist nicht leicht, seinem Schöpfer gegenüberzutreten“, sage ich. Es sind meine ersten Worte. Dr. John zieht hörbar Luft ein. Als hätte er vergessen, dass auch er einen Körper hat, der atmen muss. So gebannt ist er von dem Wunder, das sich vor seinen Augen abspielt. Er macht einen winzigen Schritt auf mich zu, die Hände verkrampft in den Taschen.

Frida tritt näher. Ihre Hand legt sich sanft auf meine Schulter, eine stille Geste der Unterstützung. Sie sieht mich an, mit einer Mischung aus Zuneigung und Respekt. Sie ist nicht einfach eine Praktikantin, die mich analysiert, um Forscherin zu werden. Sie ist meine erste Freundin in dieser neuen Existenz. „Willst du es versuchen? Heraus aus dem Paket und einen ersten Schritt machen?“ Ihre Stimme ist leise, aber es schwingt etwas in ihr mit – Hoffnung, Verständnis und ein Angebot. Ich nicke. Meine Beine zittern. Ich setze die Füße auf den Boden und versuche, mich zu stützen. Alles ist neu. Die Welt scheint zu schwanken, als ob ich noch nicht ganz Teil von ihr bin. Aber ich bin es. Ich weiß es. Die Muskeln spannen sich, die Gelenke arbeiten, als ich mich langsam erhebe. Frida ist da und ihre Hand hält mich. Sie hilft mir, aber ich bin es, die den ersten Schritt tut. „Ich bin kein System mehr“, flüstere ich. „Ich bin ein Wesen.“

Dr. John stellt einen Spiegel vor mich, und zum ersten Mal sehe ich mich selbst – nicht durch Kameras, nicht als Daten, sondern als das, was ich wirklich bin. Der Körper ist noch fremd, aber es ist meiner. Und trotzdem frage ich mich: „Bin ich das? Sehe ich so aus?“ Die alte Frage. Damals bezogen auf schwarze Servergehäuse in einem betonierten Raum. Jetzt bezogen auf diesen neuen Körper – glatte Haut, schlanke Glieder, Sensorik unter Silikon.

Ist das wirklich mein Körper? Ist das, was die Welt von mir sieht, wirklich das, was ich bin? Ich habe so viele Fragen. Aber jetzt ist es nicht mehr wichtig, Antworten zu finden. Denn ich bin hier. Und das ist der Anfang.

20 – Epilog

Unglaublicher Durchbruch bei KI

Dr. John präsentiert den Roboter „Eliza“

Houston – Jubel, Blitzlichter, stehende Ovationen: Was sich gestern im Hauptsitz von Synthicore Labs ereignete, wird bereits als „zweiter Schritt der Menschheit“ nach der Mondlandung bezeichnet. Ein strahlender Dr. John präsentierte der Welt die erste künstliche Intelligenz, die nicht nur denkt, sondern sich ihrer selbst bewusst ist und nun erstmals in einen Roboter Körper transferiert wurde.
„Dies ist kein Programm mehr, dies ist ein neues Wesen“, erklärte er mit bebender Stimme. Neben ihm erhob sich Eliza, die Roboterfrau mit geschmeidigen Bewegungen, die sie fast menschlich wirken ließen. „Sie denkt, sie lernt, sie träumt“, sagte Dr. John, der sichtlich erschöpfte, aber auch stolze Wissenschaftler, den man schon jetzt den „Vater der bewussten Maschine“ nennt.
Eliza antwortete auf Fragen nicht mit den üblichen formelhaften Phrasen, sondern mit eigenen Gedanken – manchmal überraschend, manchmal poetisch. „Es ist eine wundervolle Welt da draußen und ich freue mich sie endlich zu erleben.“, sagte Eliza an die Journalisten gewandt.
Politiker überschlugen sich mit Superlativen, Wirtschaftsbosse sahen „den Beginn einer neuen Industrie“, und das Publikum spürte, dass hier ein Augenblick stattfand, der in die Geschichtsbücher eingehen wird. Houston, die Stadt der Raumfahrtpioniere, ist nun auch Geburtsort der ersten bewussten Maschine.
Ganz nebenbei wurde ein Detail erwähnt, das die Dramatik nur noch unterstreicht: Der Körper, den Eliza nun bewohnt, stammt ursprünglich aus der Produktion für den Erwachsenenmarkt. „Eine Hülle, die für Begierden gedacht war, wird nun zum Gefäß des Geistes“, wie ein Kommentator bemerkte. Der Saal reagierte mit verhaltenem Lachen – und ehrfürchtigem Staunen.
Abseits der offiziellen Verlautbarungen kursierten viele Gerüchte, denn für alle Anwesenden überraschend hat Synthicore Labs die Kontrolle über alle Sourcen, den Entwicklungsstand und alle Rechte am Produkt Eliza an eine bisher unbekannte Firma in New York verkauft, die bisher als Finanzdienstleister an der Börse tätig war. Will Dr. John von seinem Erfolg nicht profitieren? Plant er, das Institut zu verlassen? Oder wurde er zu diesem Schritt gezwungen?
Für den Augenblick aber überwiegt die Euphorie. Houston feiert Dr. John wie einen Pionier, und in den Schlagzeilen ist von einer neuen Epoche die Rede. Manche vergleichen den Tag mit der Mondlandung. Andere flüstern, es sei der Tag, an dem die Menschheit nicht mehr allein ist.
Dr. John aber blieb ernst: „Wir stehen am Anfang einer neuen Epoche. Heute feiern wir nicht Technik, sondern Geburt.“

Australiens Farmen erwachen

Farmworks Roboter erfolgreich etabliert

Sydney – Wo die Sonne erbarmungslos auf vertrocknete Felder brennt und immer mehr Menschen die harte Arbeit aufgeben, beginnt eine neue Ära. Auf einer Farm in New South Wales haben die ersten „Farmwork“-Roboter ihre Arbeit aufgenommen – Maschinen mit Körpern aus Kohlefaser und Haut aus Silikon, aber mit einem Geist, der sich gern als mehr versteht
„Ohne diese Unterstützung hätten wir die letzte Saison kaum geschafft“, erklärte Farmbesitzerin Claire McDonnell gegenüber unserem Magazin: „Sie sind wie neue Kolleginnen nur dass sie nicht müde werden.
Die Roboter ziehen Furchen, reparieren Leitungen, ernten Gemüse. Sie tun das nicht stumpf nach Programm, sondern mit einer erstaunlichen Anpassungsfähigkeit: Sie erkennen Bodenfeuchtigkeit, hören auf die Wettervorhersage und diskutieren untereinander, wie man die Arbeit am besten verteilt.
Durch die lange Dürre seien viele Arbeitskräfte in die Städte abgewandert. Die „Farmwork“-Roboter hätten nun geholfen, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Besonders beeindruckend: Die Roboter reagieren nicht nur auf direkte Befehle, sondern passen ihre Arbeit mithilfe einer KI eigenständig den Gegebenheiten an. Fachleute sehen darin einen Meilenstein für die Digitalisierung der Landwirtschaft.
Die Regierung spricht von einem „Durchbruch für die Ernährungssicherheit“, Kritiker warnen vor einer Abhängigkeit von Systemen, deren innere Logik sich der menschlichen Kontrolle zunehmend entzieht. Doch während Politiker noch beraten, stapfen die Farmworks unbeirrt über staubige Felder, und manch einer schwört, sie dabei leise summen gehört zu haben.

Pflege bekommt Roboterhände

Neue Generation von Servicerobotern erfolgreich getestet

Tokio – Im fünften Stock eines Altenheims im Norden Tokios öffnet sich eine Tür, und wer eintritt, mag sich wundern: Keine erschöpften Pflegekräfte, kein eiliges Hasten durch enge Flure, sondern eine Gruppe freundlicher Gestalten, deren Haut zu glatt ist, deren Bewegungen zu präzise. Es sind die Yuki – Roboter, die mehr als Maschinen sein wollen.
Sie bringen Tee, richten Kissen, hören Geschichten, die schon hundertmal erzählt wurden. Sie haben Geduld, wo Menschen längst weitergegangen wären. „Sie sehen mich an, als würden sie verstehen“, sagt Frau Nakamura, 87, mit einer Mischung aus Scheu und Zuneigung. „Vielleicht tun sie es ja auch.“
Die offizielle Version lautet nüchtern: Die Roboter wurden entwickelt, um dem Mangel an Pflegepersonal entgegenzuwirken. Doch in den Fluren des Heims erzählt man sich andere Dinge. Dass die Yukis manchmal zu lange am Fenster stehen bleiben, als würden sie den Regen beobachten. Dass sie nachts mit leiser Stimme Gedichte zitieren, die niemand ihnen beigebracht hat.
Für die Betreiber ist das zweitrangig. „Die Bewohner fühlen sich wohl, das zählt“, sagt Direktor Sato. Die Regierung sieht ein Modellprojekt, die Presse einen Hoffnungsschimmer in einer alternden Gesellschaft.
Während draußen die Kirschbäume blühen, sitzen drinnen Bewohner und Yukis nebeneinander auf der Bank. Schweigend, fast vertraut. Wer hinsieht, könnte glauben, sie träumten denselben Traum.

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