Mixed Signals

Das Gesicht könnte einem griechischen Gott oder einem sagenhaften Helden gehören. Mit der Autorität eines solchen Kinns hätte man in der alten Zeit 1000 Schiffe in den Krieg schicken können. Die edle, wohlproportionierte Nase hätte den Trojanischen Krieg vermutlich sofort beendet. Die Augenbrauen gleichen den Schwingen eines Adlers. Der Bart ist perfekt frisiert, tief schwarz und ohne Makel.

Der griechische Gott sitzt in einem quietschig bunten Fiat 500, steht im morgendlichen Berufsverkehr im Stau und ärgert sich.

Das Auto schaukelt hibbelig von links nach rechts und zurück. Die Welt ist schön.

Der griechische Gott hat die Lippen zusammenkniffen. Sie strahlen eine unmissverständliche Autorität aus, den anderen Gesichtern in den Fahrzeugen davor müsste angst und bange sein.

Das Auto hat den Spaß seines Lebens. Endlich wieder auf der Bahn und dann noch umgeben von so vielen Freunden.

Die ebenfalls tief schwarze Haare lagen bis eben noch friedlich da, umrahmten in Locken das Heldengesicht. Jetzt geraten sie in Wallung.

Das Auto möchte gerne seine Kumpels anstubsen: „Lass uns tanzen“ blinken seine Schweinwerfer lustig in den trüben Morgen.

Im Gesicht des Gottes ziehen sich die Augenbrauen böse zusammen. Die dunklen Augen bekommen ein Flackern von heiligem Feuer.

Das Auto sonnt sich in den Scheinwerfern des SUV hinter ihm. Endlich kommt der Metallic Effekt des Lacks so richtig zur Geltung. Es präsentiert seine schönste Rückenansicht und wackelt ein bisschen mit der Stoßstange.

Die Augen sind mittlerweile komplett entflammt. Der Gott schleudert eine Feuersäule nach vorne, kombiniert mit einem Erdbeben. Die unwürdigen Straßenverstopfer schmelzen und versinken in der Spalte die vom Erdbeben aufgerissen wurde. Sie nimmt die flüssigen Überreste auf und verschließt sich wieder mit einem zufriedenen Schmatzen.

Die Ampel wird grün. Das Auto lässt seinen Motor aufjubeln, tanzt über die Straße, hüpft und springt. Jeder Teil der Reifen darf sich an den rauen Asphalt schmiegen, den Moment richtig auskosten.

Die Haare stehen wild hoch, haben sich vermischt mit einer schwarzen bedrohlichen Gewitterwolke, die genau über dem Gesicht schwebt. Blitze zucken hervor. Hier braucht es mehr Raum. Zu viele Autos, Häuser, Bäume. Kein würdiger Platz für einen Gott. Aus der Wolke im Kopf schleudern Blitze die alles in Sichtweite dem Erdboden gleich machen. Hier und jetzt beginnt ein neues Zeitalter!

Das Auto spürt die metaphorischen Blitze. Immer an dieser Stelle ist das Heldengesicht in Weltzerstörungsphantasien vertieft. Das Auto kennt das schon und reagiert routiniert: Es stellt die Lüftung etwas kühler, wechselt die Musik und zeigt eine Motorstörung an.

Das Gesicht kehrt aus göttlicher Sphäre zurück in die traurige Wirklichkeit. Ein kühler Wind aus der Klimaanlage kühlt das erhitzte Gemüt. Die Augenbrauen entspannen sich, das Höllenfeuer weicht aus den Augen und macht einem gewöhnlichen Braun widerstrebend Platz.

Die Ohren hören „die besten Hits aus den 60er, 70er, 80er und 90er“, der Blick bleibt an der Störungsanzeige hängen und der Mund seufzt. Schon wieder ist etwas kaputt und wahrscheinlich wird auch dieses Mal der Mechaniker nichts finden.

Das Auto rollt gemütlich weiter. Es freut sich auf die warme Tiefgarage.

Willkommen auf einer Bundesstraße in Richtung Frankfurt am Main, der Stadt mit den meisten täglichen Pendlern.

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Eine Antwort zu Mixed Signals

  1. Daniela sagt:

    Eine bekannte langweilige Situation des Alltags mit humoristisch kindlicher Phantasie und poetischen Einschlüssen geschmückt, die dem Leser gekonnt zackig in eine andere träumerische Welt entführt und ihn dann wieder sanft plumpsend auf den Boden der Realität zurückkehren lässt. Genau das was man sich in einem Stau wünscht oder ausdenken kann. Vielen Dank für den schönen Ausflug

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